Gallengangatresie
Durch die enge Zusammenarbeit der MHH- Kinderklinik mit der Arbeitsgruppe von Marie Riepenhoff-Talty in Buffalo, USA, richtete sich bereits in den frühen 1990er Jahren unser Fokus auf die hepatotrope (die Leber betreffende) Wirkung des Rhesus Rotavirus (RRV) in neugeborenen Mäusen. Unter der Annahme, dass es sich hier um ein geeignetes Tiermodell für Studien der Gallengangatresie handeln könnte, haben wir dieses Modell validiert und können heute in > 80% der postnatal RRV infizierten Balb/c-Mäusen eine experimentelle BA induzieren. Mittlerweile ist dieses Modell Standard in der Grundlagenforschung zur BA und wird weltweit von führenden Arbeitsgruppen auf diesem Gebiet angewandt (Cincinnatti, Denver, Housten (USA) Groningen (NL) u.a.).
Mit der Validierung des o.g. Mausmodells haben wir uns das Ziel gesetzt, die Ursache und den frühen Verlauf der Gallengangatresie besser zu verstehen. Gemeinsam mit den anderen BARG-Forschungsgruppen favorisieren wir heute folgende Hypothese:
Die Gallengangatresie entsteht vermutlich vor dem Hintergrund einer genetischen Disposition und wird wahrscheinlich nach der Geburt durch eine (virale?) Infektion ausgelöst. Der Kontakt mit dem bisher unbekannten Erreger induziert dann eine inadäquate Immunantwort, die dem Muster einer Autoimmunantwort ähnelt.
Das Mausmodell:
Mäuse des Balb/c Stammes werden innerhalb von 24h nach der Geburt mit Rhesus Rotavirus (RRV) infiziert und entwickeln in den nächsten 3 Wochen eine Gallengangatresie. An definierten Zeitpunkten werden die Tiere getötet und deren Blut und Organe für weitere Untersuchungen entnommen. Die Lebern und Gallengänge werden histologisch aufgearbeitet oder für immunologische Fragestellungen verwendet.
Aus dem Blut können Serum, Plasma sowie die Blutzellen isoliert werden und in Zellkulturen können wir bestimmte Abläufe des Immunsystems untersuchen.
Wir nutzen die Methoden qRT-PCR, ELISA, FACS, Floureszenzmikroskopie, CBA, iCBC, Sequenzierungen und viele weitere.
Alle Tierversuche werden von der zuständigen Behörde geprüft und genehmigt und beschränken sich selbstverständlich auf ein absolut notweniges Maß.
Unser Forschungslabor ist eng an die klinischen Abläufe angebunden. So ist es uns möglich eine einzigartige und umfassende Biobank mit Patientenmaterial aufzubauen. Seit 1994 wurden mehr als 300 Patienten mit Gallengangatresie behandelt und deren Proben (Biopsien von Leber, Gallenblase und Gallenwegen, Darm, Lymphknoten sowie Blut) asserviert. Wir haben zudem die Möglichkeit bei immunologisch gesunden Kindern, die sich einer chirurgischen Operation unterziehen müssen (z.B. Leistenbruch) an Probenmaterial (v.a. Blut) zu gelangen. Diese Proben stellen wichtige Vergleichsdaten für die Forschung dar.
Selbstverständlich werden alle Proben nur dann genommen, wenn die Eltern nach einem ausführlichen Informationsgespräch dieser Maßnahme ausdrücklich und schriftlich zugestimmt haben. Dabei haben Eltern bzw. Patienten einen zeitlich nicht befristeten Rechtsanspruch auf Vernichtung von asserviertem biologischen Material. Außerdem werden biologische Proben von Patienten nur dann für Forschungsprojekte verwendet, wenn eine schriftliche Zustimmung des Ethikkomitees vorliegt.
Die intensive Beschäftigung mit dieser speziellen Erkrankung hat dazu geführt, dass die Zahl der an der MHH neu behandelten Patienten von zunächst 3-4/Jahr auf heute zwischen 12 und 15 pro Jahr angestiegen ist. Das ermöglicht uns, wichtigen Fragestellungen nachzugehen und so die Behandlung jedes einzelnen zu verbessern. So konnten wir zeigen, dass wir mit routinemäßiger Durchführung einer ERCP (Spiegelung des Duodenums mit Darstellung der Gallenwege) ca. 25% aller Neugeborenen mit Verdacht auf BA eine Operation ersparen können. Außerdem konnten wir zeigen, dass entgegen des auch von uns propagierten minimalinvasiven Vorgehens die offene Operation bessere Ergebnisse zeigt.
EBAR European Biliary Atresia Registry
Die Möglichkeiten zur Forschung auf dem Gebiet der Gallengangatresie werden generell durch zwei Faktoren limitiert:
- Die Patienten stellen sich bei uns erst zu einem Zeitpunkt vor, wenn die Erkrankung bereits weit fortgeschritten ist.
- Die Gallengangatresie ist so selten, dass kein Zentrum ausreichend große Patientenzahlen überblickt, um alleine eine erfolgreiche Forschung zu realisieren. Darüber hinaus müssen für die Behandlung der Gallengangatresie-Patienten immer mehrere Fachdisziplinen zusammenarbeiten (pädiatrische Hepatologen, Kinder- und Transplantationschirurgen, etc.)
Um diese Probleme zu lösen, haben wir schon 1999 in Hannover den ersten internationalen und interdisziplinären Workshop organisiert. Unter dem Motto “Innovation by cooperation” nahmen ca. 200 Kollegen aus über 20 Ländern teil. Der Titel lautete „biliary atresia - new clues from etiology to therapy“ und wurde zum Programm der kommenden Jahre. Dazu zählt auch der „Startschuss“ für das europäische BA-Register (EBAR). Über einen Zeitraum von 5 Jahren wurden von mehr als 100 Kliniken aus 20 Ländern Daten von ca. 1000 Patienten gemeldet. Schließlich konnten wir 600 Datensätze auswerten und das Ergebnis im Jahr 2006 auf einem 2. Hannoverschen BA-Symposiums diskutieren.
Das Register wurde dann aus finanziellen Gründen eingestellt. Im Jahr 2014 wurde eine neue Initiative gestartet, die mit einem Kongress in Berlin vorgestellt wurde: BARD -Online.
BARD-online
Das Online Register
Die zentrale Registrierung von Patientendaten stößt spätestens dann seine Grenzen, wenn die Zahl der Datensätze, einschließlich des Follow-ups, exponentiell ansteigt. Um dieses Problem zu lösen kann man sich des Internets bedienen und die Patienten dezentral registrieren. Wenn diese Datensätze dann identisch aufgebaut sind, können sie bei Bedarf miteinander kombiniert und ausgewertet werden. Diesen Weg gehen wir mit dem Projekt BARD-online, ein Register, in dem unbegrenzt viele Patienten und deren Verläufe dokumentiert werden, die an einer Gallengangatresie oder einer anderen neonatalen Cholestase leiden.
Der internationale und interdisziplinäre Kongress BARD-Berlin-2014 hat einen neuen Meilenstein für die wissenschaftliche Zusammenarbeit gesetzt. Eine Zusammfassung des Kongresses wurde 2016 publiziert.
Der Nachfolgekongress war für 2020 geplant und muss wegen der Corona-Pandemie auf das Folgejahr verschoben werden. Unter dem Titel BARD-Bruges-2021 werden sich die Mitglieder der Faculty von 2014 in einem erweiterten Kreis neben wissenschaftlichen Fragestellungen vor allem mit den folgenden 6 Themen beschäftigen:
- Neonatale Cholestase (Diagnostischer Algorithmus)
- Gallengangatresie (Chirurgie / adjuvante Therapie / Transition)
- Choledochuszyste (Diagnose, Behandlung / Chirurgie)
- Cholangitis (Definition / Behandlung)
- Portale Hypertension (Diagnose / Shunt-Chirurgie)
- Pädiatrische Leberchirurgie
ERN rare-liver
Im Rahmen der EU-weiten Initiative zur Bildung von Kompetenzzentren für seltene Erkrankungen wurde für die Leber das Netzwerk ERN-rare-liver gegründet. Und da viele der seltenen Lebererkrankungen schon im frühen Lebensalter beginnen, hat dieses Netzwerk einen pädiatrischen Schwerpunkt. Die unter dem Oberbegriff BARD (biliary atresia and related diseases) zusammengefassten Krankheiten werden durch die hannoversche Arbeitsgruppe Europa-weit koordiniert.