Fortschritte in der Pränataldiagnostik

Ein Interview mit Prof. Dr. Constantin von Kaisenberg

auf schwarzem Hintergrund: ein Fötus in der 12. bis 13. Schwangerschaftswoche - die Extremitäten sind bereits gut erkennbar
Ein Fötus in der zwölften bis 13. Schwangerschaftswoche: Bereits in diesem Alter lassen sich anhand von morphologischen Merkmalen Chromosomenstörungen diagnostizieren

Bereichsleiter Geburtshilfe und Pränatalmedizin an der MHH-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

 

Kommt unser Kind gesund zur Welt? Das ist für werdende Eltern wohl die wichtigste Frage. Durch die Pränatalmedizin können Krankheitsrisiken und Erkrankungen des Babys sowie der Mutter bereits früh in der Schwangerschaft festgestellt werden.

 

Die MHH orientiert sich dabei an der Fetal Medicine Foundation (FMF) in London und ist Ausbildungs- und Prüfungszentrum der britischen Stiftung. Die FMF gilt als Vorreiter auf dem Gebiet der vorgeburtlichen Medizin. Der Gründer der FMF, Professor Kypros Nicolaides, stellte kürzlich auf einem Kongress an der MHH sein neues Konzept für die Schwangerschaftsbetreuung vor.


Was ist neu an dem Konzept der Fetal Medicine Foundation?
Bisher wurden die vier wesentlichen möglichen Probleme während einer Schwangerschaft, das sind Chromosomenstörungen, Fehlbildungen, Plazentationsstörungen und Frühgeburtlichkeit, häufig erst zum Ende der Schwangerschaft hin abschließend untersucht. Das moderne Konzept besteht darin, diese Probleme bereits zwischen 11-13+6 Schwangerschaftswochen untersuchen zu können – und zwar mit sehr zuverlässigen Ergebnissen. Die Früherkennung hat den Vorteil, bereits in einem frühen Stadium mit einer Behandlung beginnen zu können. Außerdem kann sehr zeitig erkannt werden, welche Schwangerschaften einer intensiveren Betreuung zugeführt werden müssen und welche eben nicht.
 

Mit welchen Methoden können Gynäkologen so früh zu sicheren Ergebnissen und Prognosen kommen? 
Die Methoden beruhen auf detaillierten Erhebungen der Vorgeschichte der Mutter, hoch spezialisiertem Ultraschall, Biochemie im Blut der Mutter und biophysikalischen Untersuchungen wie beispielsweise Blutdruckmessungen. Alle diese Informationen werden in ein Softwareprogramm eingegeben, um die Risiken für bestimmte Komplikationen zu berechnen. Mit den Ergebnissen ist eine individualisierte Schwangerschaftsvorsorge möglich. Noch wichtiger als die Technik ist jedoch die Qualifikation der Ärzte, denn die Untersuchungen setzen sehr viel Expertise, theoretische und praktische Schulungen sowie Zertifizierungen und eine ständige Qualitätskontrolle voraus.

Gemessen an den Standards der Fetal Medicine Foundation – wie weit ist die MHH heute?
Meine Kollegin Privatdozentin Dr. Ismini Staboulidou und ich sind im Besitz aller Lizenzen, die von der FMF London vergeben werden. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind an unserer Klinik das Ersttrimester Screening für Chromosomenstörungen (OSCAR) und die Risikoberechnung für Frühgeburtlichkeit etabliert. Das Screening für Präeklampsie, das heißt mütterlicher hoher Blutdruch mit erhöhter Eiweißausscheidung, wird über den Ultraschall hinaus mithilfe der Ersttrimester Serumbiochemie derzeit eingerichtet. Damit ist die MHH auf dem Stand der FMF London.

Welchen Frauen raten Sie, sich einer Pränataldiagnostik zwischen 11-13+6 Schwangerschaftswochen zu unterziehen?
Eine Untersuchung zur nicht-invasiven Pränataldiagnostik zwischen 11 - 13+6 Schwangerschaftwochen sollte jeder Patientin auf höchstem Niveau angeboten werden. Die hier dargestellten detaillierten Untersuchungen sind inzwischen sehr komplex geworden. Sie erfordern ein hoch spezialisiertes Fachwissen.

 

Beispiele für konkrete Probleme, die nach dem FMF-Konzept bereits zwischen 11 - 13+6 Schwangerschaftswochen erkannt werden können:

Für Chromosomenstörungen sind heute Entdeckungsraten von über 90% bei nur 2.5% invasiven Eingriffen möglich. Fehlbildungen können bereits mit bis zu 89% Entdeckungsrate erkannt werden, für Herzfehler liegt dies in der Hand von Spezialisten sogar bei 85%.

Die Plazentationsstörungen können zu einer Erkrankung der Mutter führen, wie der Präeklampsie, die heute in der schweren frühen Form in 93.1% erkennbar ist, für 5% falsch auffällige Befunde. Zu den Erkrankungen des Feten werden auch ein ungünstiger Schwangerschaftsausgang gezählt. Hier kann basierend auf einer hohen Nackentransparenz und einer negativen A-Welle im Duktus venosus Blutfluss in 70.9% ein ungünstiger Schwangerschaftsausgang erwartet werden. Störungen der Plazentation führen auch zu zu kleinen Kindern.

Zu große Kinder werden bei mütterlicher Glukoseverwertungsstörungen beobachtet. Zeigt sich ein hoher Nüchernblutzucker, steigt das Risiko für Makrosomie von 7.9% auf 19.4% und die primäre Sektiorate von 12.7 auf 20%.

Eine Frühgeburt muss @ 22 Schwangerschaftswochen bei einer Cervixlänge <15mm in 1.7% befürchtet werden, eine Geburt <34 Schwangerschaftswochen kann durch Progesteron vaginal 200mg/die von 34.4% auf 19.2% reduziert und die neonatale Morbidität von 13.8% auf 8.1% verringert werden.

Eine Spätgeburt bzw Übertragung kann durch eine Einleitung @ 41-42 Schwangerschaftswochen einen peripartalen Tod um den Faktor 3 verringern. Dies entspricht etwa 500 Induktionen für 1 verhinderten Tod bei einer Sektiorate von 20-25%. Eine korrekte Datierung der Schwangerschaft @ 11+0-13+6 Schwangerschaftswochen kann diese Einleitungsrate um 35% senken.