Organspende: Was sich ändert
Die wichtigsten Fragen und Antworten

Die Zahl der Organspender in Deutschland ist seit Jahren zu niedrig - aber eine umfassende Reform der gesetzlichen Regelung wird es erst einmal nicht geben. Eine solche hat der Deutsche Bundestag am 16. Januar abgelehnt, als er sich mehrheitlich gegen die vorgeschlagene doppelte Widerspruchlösung aussprach.
Wir klären hier die nun wichtigsten Fragen und liefern die aktuellen Spenderzahlen.
FAQ zur Bundestagsentscheidung
Der Bundestag hat in der Abstimmung am 16. Januar 2020 die Einführung einer "doppelten Widerspruchslösung" für Organspenden und damit eine grundlegende Reform klar abgelehnt. In namentlicher Abstimmung votierten 379 Abgeordnete dagegen, 292 Parlamentarier unterstützten ihn, drei enthielten sich. Angenommen wurde hingegen der Vorschlag einer erweiterten Entscheidungslösung. 432 Abgeordnete gaben dem Vorschlag ihre Stimme.
Der Gesetzentwurf zur erweiterten Entscheidungslösung stammt von einer fraktionsübergreifenden Gruppe um Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Grünen. Die Organspende beruht nun nach wie vor auf ausdrücklicher Zustimmung. Außerdem soll ein zentrales Online-Register eingerichtet werden. Dort soll jeder Bürger seine Haltung zur Organspende dokumentieren - in Form von Ja oder Nein - und jederzeit ändern können. Hausärzte sollen ihre Patientinnen und Patienten regelmäßig beraten und sie zur Eintragung in das Onlineregister ermutigen. Bürgerämter sollen verpflichtet werden, Bürgerinnen und Bürger mit Informationsmaterialien zu versorgen und bei Abholung der Ausweispapiere auf die Eintragung in das Organspenderegister hinzuweisen.
Auf den Seiten des Bundestages können Sie den Gesetzentwurf einsehen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/110/1911087.pdf.
Abgeordnete aus CDU/CSU, SPD und Die Linke um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Karl Lauterbach legten im März 2019 einen Gesetzentwurf zur doppelten Widerspruchslösung vor. Er sieht vor, dass jede Bürgerin und jeder Bürger ab 16 Jahren als Organ- und Gewebespender gilt, es sei denn, er oder sie hat zu Lebzeiten widersprochen. Der Widerspruch soll in einem für Ärztinnen und Ärzte einsehbaren Register festgehalten werden. Die Entscheidung ist jederzeit revidierbar. Liegt kein Widerspruch vor, werden die Angehörigen gefragt, ob ihnen ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille des möglichen Organ- oder Gewebespenders bekannt ist.
Auf den Seiten des Bundestages können Sie den Gesetzentwurf einsehen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/110/1911096.pdf.
An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und in ihrem Transplantationszentrum halten sich nach der Bundestagsentscheidung Hoffunung und Skepsis die Waage. „Mit der Verabschiedung der erweiterten Entscheidungslösung ist ein neues Kapitel im Kampf gegen den Organmangel in Deutschland aufgeschlagen worden. Wir hoffen sehr, dass die Umsetzung des Gesetzes die Organspende stärken wird“, sagte Professor Dr. Michael Manns, Präsident der MHH. „Leider hat die Widerspruchslösung nicht die erforderliche Mehrheit gefunden“, ergänzte Professor Dr. Axel Haverich, Leiter des Transplantationszentrums der MHH. Es bleibe abzuwarten, ob sich mehr Menschen als Organspender registrieren lassen, als bislang einen Organspendeausweis mit sich führen. Er äußerte die Befürchtung, dass sich vor allem diejenigen registrieren lassen werden, die einer Organspende nach dem Tode widersprechen. Als einziges Land ohne Widerspruchslösung im Eurotransplant-Verbund sei Deutschland voraussichtlich weiterhin auf die Solidarität der anderen Länder und den Import von Organen angewiesen.
Haverich hatte sich im Vorfeld eindeutig für die Widerspruchslösung ausgesprochen: Er sieht die Widerspruchslösung als ein Zeichen der Solidarität mit den Patienten: „Die medizinischen Möglichkeiten der Organtransplantation sind so weit ausgereift, dass wir vielen Menschen helfen könnten, wenn genügend Spenderorgane zur Verfügung stünden (...) Zum Wohle der Patientinnen und Patienten wäre eine Widerspruchslösung deshalb die beste Regelung!“ Die persönliche Auseinandersetzung und die Entscheidung für oder gegen eine Organspende nach dem Tod sei ein Akt der Solidarität. Erfahrungen aus europäischen Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt, zeigen, dass dort zehn bis 20 Prozent mehr Organe gespendet werden.
FAQ zu den Hintergründe
Wer in Deutschland als Patientin oder Patient eine neue Leber oder Lunge benötigt, muss lange warten. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (https://www.dso.de/dso/presse) stehen aktuell mehr als 9.000 Menschen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 2019 gab es bundesweit 932 Organspenderinnen und Organspender. Damit hat sich die Zahl annähernd auf dem Niveau von 2018 (955 Organspenderinnen und Organspender) gehalten. Allerdings bildet Deutschland mit einer bundesdurchschnittlichen Spenderrate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner nach wie vor eines der Schlusslichter im internationalen Vergleich. Deshalb wollte die Politik die gesetzliche Grundlage für Organspenden so bald wie möglich verändern.
In Deutschland gilt aktuell: Organe und Gewebe dürfen nur dann nach dem Tod entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen gefragt. Damit Menschen bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden, bekommen sie in regelmäßigen Abständen Informationsmaterial zugesandt.
Innerhalb der EU sind die Gesetze für die Organentnahme ganz unterschiedlich gestaltet. In Dänemark und der Schweiz gilt beispielsweise die erweiterte Zustimmungslösung. Das heißt, der Verstorbene muss zu Lebzeiten einer Organentnahme zugestimmt haben. Liegt die Zustimmung nicht vor, können die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden. In Belgien, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Spanien und Ungarn wird nach der Widerspruchsregelung verfahren. Dort wird der Verstorbene zum Organspender, wenn er einer Entnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Die Angehörigen haben kein Widerspruchsrecht. In Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Norwegen und Schweden wird die Widerspruchsregelung mit dem Einspruchsrecht der Angehörigen verknüpft. Dort können die Hinterbliebenen gegen die Organentnahme stimmen.
Deutschland profitiert von der höheren Spendebereitschaft in den Partnerländern, die alle eine Widerspruchslösung haben. Eurotransplant (ET) ist eine gemeinnützige Organisation, die den grenzüberschreitenden Austausch von Spenderorganen vermittelt. Zu dem Verbund gehören Österreich, Belgien, Kroatien, Deutschland, Ungarn, Holland, Luxemburg und Slowenien.
Der Bundesverband der Organtransplantierten (BDO) erkennt in beiden Gesetzentwürfen wichtige Ansätze, hält die Entscheidung darüber aber für zweitrangig. An erster Stelle steht für den BDO die Umsetzung der seit dem 1. April 2019 gültigen Änderungen im Transplantationsgesetz (TPG). Diese zielen darauf ab, potentielle Organspender in den Entnahmekrankenhäusern besser zu erkennen und den Krankenhäusern mehr Zeit und mehr Geld für den gesamten Prozess um die Organentnahme zur Verfügung zu stellen. „So lange potentielle Organspender in den Entnahmekrankenhäusern nicht erkannt und gemeldet werden, spielt es für die Zahl der Organspender keine Rolle, ob in Deutschland eine Widerspruchsregelung oder eine Entscheidungslösung gültig ist“, heißt es in einer Stellungnahme des BDO.
So viele Organe transplantiert die MHH
Im Jahr 2019 sind am Transplantationszentrum der MHH 357 Organe verpflanzt:
- Herz: 23
- Leber: 77
- Niere: 147
- Pankreas: 7
- Lunge: 103
Warteliste
Insgesamt warteten zum Zeitpunkt 13. Januar 2020 1.082 Patientinnen und Patienten in der MHH auf ein Organ; 1.017 Erwachsene und 65 Kinder.
Die mit Abstand meisten von diesen Patientinnen und Patienten, nämlich 854, warten auf eine Niere, 83 brauchen eine Leber, 70 ein Herz, 52 eine Bauchspeicheldrüse und 23 eine Lunge.
Weiterführende Links
Zum Transplantationszentrum der MHH
Überblick über das umfassende Angebot für Patienten, Ärzte und Studierende.
Zur Website des Deutschen Bundestags mit den Gesetzentwürfen Zur Oganspende-Infoseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Zum Bundesverband der Organtransplantierten