Hintergrund

Die kognitive Neuropsychiatrie ist eine moderne wissenschaftliche Disziplin der Psychiatrie und Psychologie, die sich an der Schnittstelle aus Kognition und Psychopathologie befindet. Sie beschäftigt sich sowohl mit den Ursachen psychopathologischer Phänomene als auch mit Grundlagen normalpsychologischer Prozesse.
Wichtige Werkzeuge der kognitiven Neuropsychiatrie sind psychophysische Verfahren und nichtinvasive Bildgebung. Die psychophysischen Forschungsverfahren zählen zu den ältesten Forschungsmethoden der Psychologie und zielen auf die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen subjektivem psychischen Erleben und quantitativ messbaren, also objektiven physikalischen Reizen bzw. körperlichen Phänomenen ab. Die Psychophysik bedient sich methodisch vor allem der Messungen von Reaktionszeiten und Fehlerraten im Reaktionsverhalten und nutzt diese, um kognitive Prozesse abzubilden. Ein weiteres psychophysisches Verfahren stellt die Messung elektrischer Hirnströme mittels Elektroenzephalographie dar. Dieses Verfahren ermöglicht eine hohe zeitliche Auflösung. Für eine hohe räumliche Auflösung wird hingegen nichtinvasive Bildgebung genutzt Diese stellt eine relativ moderne Sammlung an Methoden der neurowissenschaftlichen Forschung dar, mit denen es möglich ist, neuronale Prozesse während der kognitiven Aktivität darzustellen. Die wesentlichen Verfahren der nichtinvasiven Bildgebung bestehen unter anderem aus der Kernspintomographie und der Magnetenzephalographie.
Übergeordnete Ziele
Im Fokus der Forschungsgruppe stehen:
- Erforschung neurophysiologischer Korrelate psychiatrischer Symptome
- Förderung des psychophysiologischen Verständnisses sensorischer Phänomene
- Untersuchung der Schnittstelle normalpsychologischen Erlebens und psychopathologischen Vorgängen
- Implementierung einer Return to Work Nachsorge in Psychiatrischen Institutsambulanzen
Sinneseindrücke wie Sehen, Hören, Tasten und Riechen steuern unser tägliches Leben. Eine wichtige Aufgabe des Gehirns besteht dementsprechend darin, diese Sinneseindrücke so effizient und so genau wie möglich zu einem kohärenten Abbild zusammenzusetzen. Vorteile der Informationsgewinnung durch mehrere Sinnesqualitäten und deren gegenseitige Informationsergänzung sind beispielsweise beschleunigte Reaktionen auf das Geschehen in der Umwelt und die verbesserte Wahrnehmung unter gestörten Bedingungen.
Im Labor für kognitive Neuropsychiatrie beschäftigen wir uns mittels innovativer Methoden mit multisensorischer Wahrnehmung bei psychiatrischen Erkrankungen. Bisherige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Zusammensetzung von Informationen aus multiplen Sinnesorganen bei Menschen mit psychiatrischen Erkrankungsbildern (z.B. Schizophrenie oder Autismus) beeinträchtigt sind. In diesem Projekt versuchen wir verschiedene Aspekte dieses komplexen Phänomens zu untersuchen. Darüber hinaus stellen die zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen der multisensorischen Wahrnehmung einen wichtigen Bestandteil des Projektes dar.
Ein typisches Beispiel für multisensorische Wahrnehmung ist die Sprachwahrnehmung: Während einer Kommunikation von Angesicht zu Angesicht empfangen wir Sprache durch zwei sensorische Kanäle: visuell und auditorisch. Die visuelle Information hat einen wesentlichen Einfluss auf die Sprachwahrnehmung, so verbessert sie beispielsweise die Verständlichkeit der Sprache in einer geräuschvollen Umgebung. Darüber hinaus kann audiovisuell inkongruente Sprache zu neuen Wahrnehmungen führen, die weder der auditorischen noch der visuellen Information entsprechen, wie es durch den McGurk-Effekt deutlich wird.
Stell dir vor, du wärst auf einer Cocktailparty: Du wirst einer Gruppe von vier Menschen vorgestellt. Alle vier schütteln freundlich deine Hand und mit einem höflichen Lächeln nennen sie ihre Namen. Die Party ist sehr laut, leider kannst du akustisch nicht verstehen, wie die letzte Person heißt. Eine Woche später triffst du zufälliger Weise wieder diese vier Personen auf einer anderen Party, an wessen Gesicht würdest du dich am ehesten erinnern?
Viele alltägliche Situationen, wie in dem oben erwähnten Beispiel dargestellt, sind multisensorischer Natur. Dementsprechend setzt unser Gehirn mit Hilfe von komplexen Prozessen cross-modale Informationen zusammen, gestaltet eine Bedeutung daraus und reagiert darauf. Das Arbeitsgedächtnis stellt einen der wichtigsten Mechanismen dar, der cross-modale Informationen bearbeitet. Außerdem weist die Störung des Arbeitsgedächtnisses eine elementare Pathologie bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen auf. Dieses Defizit geht mit erheblichen Einschränkungen im Patientenleben einher.
Die meisten bisherigen Gedächtnisstudien haben jedoch dieses wichtige Phänomen aus einem unisensorischen Perspektiv betrachten. Aus diesem Grund zielt dieses Projekt darauf ab, das Arbeitsgedächtnis bei klinischen Populationen unter multisensorischen naturalistischen Bedingungen zu untersuchen und somit präzisere und reliable Erkenntnisse über diesen wichtigen Mechanismus und dessen Rolle bei psychiatrischen Erkrankungen zu gewinnen.
Im Rahmen dieses Projekts werden Mechanismen der Aggressionsregulation untersucht. Dabei legen wir das Allgemeine Aggressionsmodell bei der exzessiven Nutzung gewalthaltiger Computerspiele zugrunde. Das Allgemeine Aggressionsmodell postuliert, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen der Nutzung gewalthaltiger Computerspiele und kurzfristigem aggressiven oder impulsiven Verhalten gibt, welcher primär auf einer emotionalen Desensibilisierung und einer damit assoziierten Empathiereduktion beruht. Unser Projekt fokussiert vor allem Effekte exzessiver Nutzung gewalthaltiger Computerspiele auf neurophysiologische Prozesse und Strukturen
Die bisherige Forschung zu Return to Work (RTW) bei psychischen Störungen fokussiert vor allem auf den Zeitpunkt bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. Die Zeit während und nach der Rückkehr wurde bislang wenig betrachtet. Unser multizentrisches Forschungsprojekt soll in Kooperation mit fünf Kliniken genau diese Lücke schließen. Durch ein multiprofessionelles Behandlungsteam erhalten die Studienteilnehmenden bei Rückkehr in den Betrieb nach psychisch bedingter längerer Ausfallzeit eine intensivierte Begleitung und Nachsorge.
Das Konzept verknüpft medizinisch-therapeutische mit betrieblichen Maßnahmen, um so den Dialog zwischen Betroffenen und betrieblichen Schlüsselakteuren zu stärken. Als relevanten Variablen werden unter anderem die nachhaltige Rückkehr, Arbeitsunfähigkeit, Funktionalität, Selbstwirksamkeitserwartung sowie selbstberichtete AU-Tage erfasst. Das Konzept wird in einem Manual detailliert dargestellt und soll im Fall einer positiven Evaluation im Aufgabenprofil der psychiatrischen Institutsambulanzen verankert werden.
- Mohammadi, B., Szycik, G. R., te Wildt, B., Heldmann, M., Samii, A., & Münte, T. F. (2020). Structural brain changes in young males addicted to video-gaming. Brain and Cognition, 139, 105518. DOI
- Tietze, F. A., Hundertmark, L., Roy, M., Zerr, M., Sinke, C., Wiswede, D., ... & Szycik, G. R. (2019). Auditory deficits in audiovisual speech perception in adult Asperger’s syndrome: fMRI study. Frontiers in psychology, 10, 2286. DOI
- Zerr, M., Freihorst, C., Schütz, H., Sinke, C., Müller, A., Bleich, S., ... & Szycik, G. R. (2019). Brief sensory training narrows the temporal binding window and enhances long-term multimodal speech perception. Frontiers in psychology, 10, 2489. DOI
- Rüsseler, J., Ye, Z., Gerth, I., Szycik, G. R., & Münte, T. F. (2018). Audio-visual speech perception in adult readers with dyslexia: an fMRI study. Brain imaging and behavior, 12(2), 357-368. DOI
- Haß, K., Bak, N., Szycik, G. R., Glenthøj, B. Y., & Oranje, B. (2017). Deficient prepulse inhibition of the startle reflex in schizophrenia using a cross-modal paradigm. Biological psychology, 128, 112-116. DOI
- Haß, K., Sinke, C., Reese, T., Roy, M., Wiswede, D., Dillo, W., ... & Szycik, G. R. (2017). Enlarged temporal integration window in schizophrenia indicated by the double-flash illusion. Cognitive neuropsychiatry, 22(2), 145-158. DOI
- Sinke, C., Neufeld, J., Zedler, M., Emrich, H. M., Bleich, S., Münte, T. F., & Szycik, G. R. (2014). Reduced audiovisual integration in synesthesia–evidence from bimodal speech perception. Journal of neuropsychology, 8(1), 94-106. DOI
- Sinke, C., Neufeld, J., Wiswede, D., Emrich, H. M., Bleich, S., Münte, T. F., & Szycik, G. R. (2014). N1 enhancement in synesthesia during visual and audio–visual perception in semantic cross-modal conflict situations: an ERP study. Frontiers in human neuroscience, 8, 21. DOI
- Szycik, G. R., Ye, Z., Mohammadi, B., Dillo, W., Te Wildt, B. T., Samii, A., ... & Münte, T. F. (2013). Maladaptive connectivity of Broca’s area in schizophrenia during audiovisual speech perception: an fMRI study. Neuroscience, 253, 274-282. DOI
- Münte, T. F., Stadler, J., Tempelmann, C., & Szycik, G. R. (2012). Examining the McGurk illusion using high-field 7 Tesla functional MRI. Frontiers in Human Neuroscience, 6, 95. DOI
- Neufeld, J., Sinke, C., Zedler, M., Emrich, H. M., & Szycik, G. R. (2012). Reduced audio–visual integration in synaesthetes indicated by the double-flash illusion. Brain research, 1473, 78-86. DOI
- Neufeld, J., Sinke, C., Dillo, W., Emrich, H. M., Szycik, G. R., Dima, D., ... & Zedler, M. (2012). The neural correlates of coloured music: A functional MRI investigation of auditory–visual synaesthesia. Neuropsychologia, 50(1), 85-89. DOI
- Szycik, G. R., Jansma, H., & Münte, T. F. (2009). Audiovisual integration during speech comprehension: An fMRI study comparing ROI‐based and whole brain analyses. Human brain mapping, 30(7), 1990-1999. DOI
- Szycik, G. R., Tausche, P., & Münte, T. F. (2008). A novel approach to study audiovisual integration in speech perception: localizer fMRI and sparse sampling. Brain Research, 1220, 142-149. DOI
Aktuelle Informationen
Für unsere Projekte suchen wir fortlaufend freiwillige Proband*innen sowie motivierte Studierende, die uns im Rahmen einer Doktor-, Master- oder Bachelorarbeit bei unseren Projekten unterstützen wollen:
Wir suchen fortlaufend freiwillige Proband*innen zur Teilnahme an wissenschaftlichen Studien, die der Erforschung psychophysiologischer Grundlagen von multisensorischer Wahrnehmung dienen. Teilnehmende erhalten für die Teilnahme eine Aufwandsentschädigung. Voraussetzungen:
- Zwischen 18 und 65 Jahre alt
- Kein Drogenkonsum oder übermäßiger Alkohol- oder Nikotinkonsum
- Keine schweren neurologischen oder psychiatrische Erkrankungen
Wenn Sie diese Voraussetzungen erfüllen, melden Sie sich gerne bei uns: mupsy@mh-hannover.de
Gesucht werden Probanden mit einer diagnostizierten Schizophrenie oder Schizoaffektiven Störung für eine Studie, bei der die Prozesse der multimodalen Wahrnehmung u.a. in Patienten mit Schizophrenie untersucht werden.
Multimodal bedeutet, dass die Informationen unterschiedlicher Sinnesmodalitäten gleichzeitig beachtet werden. Durch Ihre Teilnahme an dieser Studie tragen Sie dazu bei, dass neue Erkenntnisse über Ihre Erkrankungen aber auch über die sensorische Wahrnehmung im Allgemeinen gewonnen werden können.
Die Studie besteht aus einem Diagnostiktermin (Ausfüllen einiger Fragebögen) und zwei Verhaltensexperimenten. Insgesamt würden wir Sie also bitten, an drei Terminen zu uns zu kommen.
Während der Verhaltensexperimente gilt es auf bestimmte Stimuli, wie Bilder oder Geräusche, per Tastaturklick zu reagieren. Ihre Reaktionen werden anschließend erfasst, wobei hier Ihre Wahrnehmung von Interesse ist.
Teilnahmevoraussetzungen
- Alter zwischen 18-60 Jahren
- Diagnose einer Schizophrenie oder Schizoaffektiven Störung
- Verfügbar an zwei Terminen in der MHH im Abstand von 7 Tagen für jeweils max. 45 Minuten und an einem Diagnostiktermin für ca. 1 h
- Muttersprache Deutsch
- Kein Drogen-, oder Alkoholmissbrauch in den letzten 4 Wochen
Für die Studienteilnahme erhalten Sie 40 €!
Bei Interesse melden Sie sich unter Angabe Ihrer Telefonnummer unter: mupsy@mh-hannover.de
Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen oder Forschungseinrichtungen wird bei uns großgeschrieben.
Wenn Sie an einem unserer Projekte im Rahmen einer Doktorarbeit interessiert sind, wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Szyick unter szycik.gregor@mh-hannover.de.
Unser Labor vergibt auch Bachelor- und Masterarbeiten. Sie können sich aber auch die Forschungsschwerpunkte der verschiedenen Projekte anschauen und uns bei Interesse per E-Mail kontaktieren.
Wissenschaftliche Kollaborationen
Externe Kollaborationen
- International Neuroscience Institute Hannover, Neurologie (Prof. Mohammadi)
- Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Biologische Psychologie (Prof. Noesselt)
- Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Psychiatrie (PD Walter)
- Universität Lübeck, Neurologie ( Prof. Münte, Dr. Wiswede)
- Alexianer St. Joseph Klinikum Berlin-Weißensee
- Asklepios-Klinikum Harburg
- Burghof-Klinik Rinteln
- Klinik Wittgenstein
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Berlin
- Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
Ausstattung
- Das Labor für kognitive Neuropsychiatrie ist ausgestattet mit moderner Computertechnik und Software (z.B. BrainVision Analyzer, BESA Research, E-Prime), die es ermöglicht zeitkritische psychophysische Experimente an Patienten und gesunden Kontrollprobanden in einer angenehmen Umgebung durchzuführen. Wir sind im Stande multimodale Stimulation experimentell zu nutzen.
- Darüber hinaus ist das Labor mit einem Elektroenzephalografie (EEG)-Gerät ausgestattet. Dieses ist dazu geeignet gleichzeitig aus 32 Positionen an der Oberfläche des zu untersuchenden Kopfes elektrische Potenzialunterschiede zu erfassen. Das besondere an unserem EEG-Gerät ist zusätzlich die Fähigkeit dieses sich auf diverse Messsituationen selbstständig einzustellen (Aktiv-Elektroden). Das verkürzt die Dauer der Experimente und macht diese für unsere Probanden und Patienten dadurch angenehmer.
- Zusätzlich können wir ein Gerät für transkranielle Magnetstimulation (TMS) nutzen. Solches Gerät ermöglicht reversible Beeinflussung von der Depolarisationsfähigkeit von Neuronen und hat bereits eine breite Anwendung in der Hirnforschung und in der Behandlung diverser psychiatrischer Erkrankungen gefunden. Über unsere Kooperationen haben wir ebenfalls die Möglichkeit zur Nutzung von Kernspintomographie (3 und 7 Tesla).
Forschungsgruppenmitglieder
Forschungsgruppenleitung
Prof. Dr. Gregor R. Szycik
Leiter der Ausbildungsinstitute AVVM und IPAW
Telefon: +49 511 532 7365
Telefax: +49 511 532 7375
Exzellenz auf einen Blick:
- MRI
- EEG
- Sprachwahrnehmung
- Multisensorische Integration
Publikationen: Pubmed