Minimalinvasive Lungenkrebschirurgie unter Spontanatmung: Benötigt man für Operationen an der Lunge immer eine Vollnarkose?

Einleitung
Es wird zwischen dem nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (non small cell lung cancer, NSCLC) und dem kleinzelligen Lungenkrebs (Small Cell Lung Cancer, SCLC) unterschieden, das gilt auch für Verlauf und Therapie. Die meisten Patienten mit der Diagnose „Lungenkrebs“ sind vom einen nicht-kleinzelligen Tumor betroffen. Stadien-übergreifend ist die Prognose mit einem zu erwartenden 5-Jahres-Überleben von etwa 20 % bei Frauen und 15 % bei Männern unverändert schlecht, und noch immer bietet die operative Entfernung bei nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) in frühen Stadien die beste Chance auf Heilung.

Video-assisted thoracic surgery, VATS
In den vergangenen Jahren hat sich die minimalinvasive Lungenchirurgie (Video-assisted thoracic surgery, VATS) entgegen anfänglicher Skepsis international als Standardverfahren etabliert und gewinnt zunehmend auch in Deutschland an Bedeutung. Seit Erstbeschreibung einer vollständigen Lungenlappenentfernung mittels minimalinvasiver Technik („VATS-Lobektomie“) durch Giancarlo Roviario Anfang der 1990er-Jahre, konnte das Verfahren in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt werden. Vermeintliche Argumente gegen videoassistierte onkologische Operationen an der Lunge, wie eine mögliche suboptimale Übersicht während des Eingriffes oder Bedenken hinsichtlich der notwendigen Radikalität, wurden durch eine Vielzahl klinischer Studien widerlegt. Inzwischen gilt dieses Operationsverfahren den klassischen „offenen“ Techniken aus onkologischer Sicht als ebenbürtig, und bietet zusätzlich relevante Vorteile für die Patienten in der postoperativen Phase. So haben Patienten nach VATS-Lobektomie nicht nur deutlich weniger Schmerzen, sondern leiden seltener unter Vorhofflimmern, Atelektasen, Luftlecks sowie Pneumonien, was in Summe zu kürzeren stationären Liegezeiten führt.

Onkologische Lungenchirurgie unter Spontanatmung
Gleichzeitig ist es bei ausgewählten Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion inzwischen möglich, gänzlich auf Intubation und maschinelle Beatmung zu verzichten, und so eine anatomische Lungenresektion unter Spontanatmung („ni-VATS“, non-intubated VATS) durchzuführen. Hierdurch werden beschriebene Nachteile wie Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine, mechanischer Schaden auf Alveolarebene durch Barotrauma und Atelektasenbildung der abhängigen Lunge z. B. durch Gabe von Muskelrelaxantien vermieden.
Diego Rivas berichtete 2014 über die Durchführung der ersten uniportalen niVATS, bei der die gesamte Intervention über einen einzelnen ca. 3 cm langen Schnitt („uniportal“) unter lokaler Betäubung erfolgte. An der Medizinischen Hochschule Hannover führten wir 2018 die ersten niVATS-Lobektomien in Deutschland durch. In den vergangenen 2 Jahren sind insgesamt über 30 wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Themenkomplex veröffentlicht worden.
Asiatische Arbeitsgruppen, insbesondere die um Jin-Shing Chen aus Taiwan, sind mit eindrucksvollen Fallzahlen führend bei dieser Operationstechnik. Dennoch wird das inimalinvasive Verfahren, global betrachtet, noch immer viel zu selten eingesetzt.

Tendenziell sind niVATS-Lobektomien hinsichtlich der Zeit der stationären Aufenthalte, der Dauer der Operation, Drainageliegezeiten, Komplikationen und auch Sterblichkeit den offenen chirurgischen Verfahren überlegen, aber es mangelt bis dato noch an verlässlichen wissenschaftlichen Daten.
Erkennbar ist eine große Akzeptanz für die Durchführung kleinerer Eingriffe unter Spontanatmung, während die eigentliche anatomische Lungenresektion in dieser Form aktuell nur an wenigen Zentren durchgeführt wird.
Erfreulicherweise zeigt eine aktuelle Erhebung an deutschen thoraxchirurgischen Kliniken, dass die niVATS hierzulande bereits an verschiedenen Standorten praktiziert und dem Patienten angeboten wird. Insgesamt 32 Kliniken führen regelmäßig niVATS-Prozeduren durch, in 3 Kliniken erfolgen
sogar Lobektomien regelhaft.

Dennoch besteht - trotz eines generell vorhandenen Interesses an dem Verfahren - weiterhin ein immenser Aufklärungsbedarf. Unsere klinischen Erfahrungen in den letzten zwei Jahren mit zahlreichen niVATS-Prozeduren und 8 Masterclass-Kursen mit Live-Operationen vor Ort belegen, dass nach
geeignetem Coaching niVATS-Programme mit akzeptablem Aufwand etabliert werden können. Das erhaltene Feedback bestätigt, dass die in minimalinvasiven Operationsverfahren versierten Teilnehmer, im Anschluss mit kleineren niVATS-Prozeduren beginnen konnten, um inzwischen auch komplexe Resektionen durchzuführen. Schlüssel zum Erfolg ist das simultane Coaching von Anästhesisten und Chirurgen, die zu einer eingespielten Einheit formiert werden.

Anatomische Lungenresektion unter Spontanatmung – technische Durchführung
Diese Operationstechnik ist, wie oben erwähnt, aktuell noch spezialisierten Zentren mit besonderer Expertise vorbehalten. Der Verzicht auf eine klassische Intubationsnarkose führt zwangsläufig zu ungewollten Patientenbewegungen. Husten durch intraoperativen Zug an den Atemwegen, Zwerchfellexkursionen sowie Mediastinalshift werden, anders als unter Vollnarkose, nicht unterdrückt. Hierdurch steigt der Anspruch an Operateur und Anästhesist gleichermaßen, was regelmäßige Kommunikation bis hin zum „Verstehen ohne Worte“ voraussetzt. Erst durch eine optimale und zielgerichtete Operationsvorbereitung können diese Eingriffe mit der notwendigen hohen Patientensicherheit durchgeführt werden.

Präoperative Phase
Aktuell sieht unser Konzept die präoperative Inhalation mit Lidocain zur Unterdrückung eines möglichen Hustenstoßes vor (30 Minuten vor der OP), bevor entweder die Anlage eines thorakalen Periduralkatheters oder eines alternativen Regionalverfahrens (Erector spinae-Block, Paravertebralblock, ggf. Katheteranlage) unter sonographischer Kontrolle erfolgt. Nach klassischer Seitenlagerung des Patienten führen wir noch vor dem sterilem Abwaschen des Operationsfeldes eine ausgiebige Lokalanästhesie im 4. Interkostalraum (Operationszugang) durch. Hierdurch wird die erforderliche Einwirkzeit der Lokalverfahren auf jeden Fall eingehalten. Auf die Anlage von Blasenkathetern, arteriellen Blutdruckmessungen und zentralen Verweilkathetern kann gänzlich verzichtet werden. Es erfolgen lediglich die nicht invasive Messung der Sauerstoffsättigung und des Blutdrucks sowie eine EKGAbleitung.

Intraoperative Phase
Während des Eingriffes erhält der Patient zur Abschirmung eine Analgosedierung mit titrierter Gabe von Dexmedetomidin (Sedativum) und einem kurzwirksamen Opiat. Dexmedetomidin ist ein selektiver alpha-2-Rezeptor-Agonist mit sedierenden, schmerzlindernden, sympatholytischen und
muskelentspannenden Eigenschaften, der eine Sedierungstiefe erlaubt, die ein Erwecken des Patienten durch verbale Stimulation noch zulässt. Ergänzt durch den gezielten Einsatz eines Opioids wird eine hervorragende Analgosedierung erreicht, die für diese Art der Intervention sehr gut geeignet ist. Unter Spontanatmung und Sauerstoffinsufflation erfolgt dann die Anlage einer ca. 3 cm langen Inzision in Höhe des 4. Interkostalraumes sowie das Einbringen der 10mm/ 30°- Optik über einen einliegenden Weichgewebs-Retraktor. Da auch die Optik über den einzigen Zugang eingebracht werden muss, sorgt dieser Retraktor für optimale Sichtverhältnisse, indem ein Verschmieren durch das Unterhautfettgewebe zuverlässig verhindert wird. Entscheidend für den Erfolg der Operation ist eine selektive Blockade des Nervus vagus unter direkter Sicht im paratrachealen Bereich, da so der Hustenreiz für die Dauer der Intervention unterdrückt werden kann.
Für dieses besondere Operationsverfahren ist neben der Expertise des Chirurgen modernes Equipment unerlässlich. Wir verwenden für diese Technik spezielle Operationsinstrumente, eine hochauflösende Optik sowie die aktuelle 7 mm Endo-Stapler-Generation mit Präzisionsspitze und regelhaft Ultraschallinstrumente, wie beispielsweise die Harmonic HD-1000i (Ethicon ®), um eine schnelle und saubere Präparation zu ermöglichen. Der Eingriff an sich erfolgt wie auch bei der konventionellen VATS durch eine Präparation der relevanten anatomischen Strukturen (Bronchien, Gefäße),
die schrittweise mit dem geeigneten Instrument abgesetzt werden. Am Ende des Eingriffs wird der zu entfernende Lungenteil mit den dazugehörigen Lymphknoten mittels reißfestem Bergebeutel aus dem Brustkorb entfernt und zur histologischen Untersuchung eingesandt. Zumeist platzieren wir
nun am Ende der Operation noch eine Pleuradrainage, wobei in Einzelfällen auch darauf verzichtet werden kann („tubeless VATS“).

Postoperative Phase
Durch den Verzicht auf eine Vollnarkose und den Einsatz eines geeigneten Regionalverfahrens sind die Patienten mit Abschluss des Eingriffes wach und schmerzfrei, sodass sie lediglich für eine kurze Überwachungsphase in den Aufwachraum gelangen. In der Regel kann der Patient nach einer morgendlichen Operation bereits am Nachmittag die erste Mahlzeit einnehmen und erste Schritte gehen. Der durchschnittliche postoperative Aufenthalt im Klinikum beträgt etwa 3 Tage; die allgemeine Patientenzufriedenheit nach der Behandlung ist hoch.

Fazit
Minimalinvasive Operationsverfahren sind aus der modernen Lungenchirurgie nicht mehr wegzudenken. Als logische Weiterentwicklung dieses Konzeptes ermöglicht die niVATS vor allem betroffenen Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion oder fortgeschrittenem Alter die Durchführung einer oftmals kurativen Operation, die dieser Patientenklientel ansonsten verwehrt bleiben würde. Die niVATS erfordert eine besondere Expertise von Chirurgen und Anästhesisten und ist so noch immer wenigen Zentren in Deutschland vorbehalten.