Themenspezial: Tag der Organspende

Die Medizinische Hochschule Hannover ist nicht nur ein weltweit anerkanntes Transplantationszentrum,
... sondern auch eines von über 100 sogenannten Entnahmekrankenhäusern in Niedersachsen, also Krankenhäuser, in denen Organe und Gewebe gespendet werden können. Zum Tag der Organspende (hier geht es zur offizielle Homepage) am 6. Juni beleuchten wir die heikle Arbeit der Transplantationsbeauftragten an der MHH und in einem Video berichtet eine Leber-Transplantierte vom bangen Warten auf das lebenswichtige Organ, von Unsicherheiten während der Corona-Pandemie und vom Leben nach der Transplantation.

       

Organspender gesucht: "Wir dürfen uns keine Ausfälle leisten"

Die Organspendeberater der MHH: Martin Gernart (oben li.), Dr. Frank Logemann (oben re.), Dr. Elvis Hermann (unten li.), Roswitha Terpe (Mitte), Sven McVeigh (unten re.). Copyright: Webredaktion/MHH; privat

Die MHH hat fünf Transplantationsbeauftragte (MHH intern: Organspendeberater_innen) - fünf Menschen, die sich um die schwierige Aufgabe kümmern, potentielle Organspender_innen zu finden. Eine Aufgabe, die Ihnen einiges abverlangt und die viele spannende Facetten hat, wie vier von Ihnen (Roswitha Terpe, Dr. Frank Logemann, Martin Gernart, Sven McVeigh) im Gespräch mit der MHH-Webredaktion erläutern.

Frage: Ihr Beruf heißt hier an der MHH Organspendeberater_in. Offiziell im Gesetz steht allerdings Transplantationsbeauftragte. Warum dieser andere Name?

Antwort Martin Gernart: Der Begriff „Transplantationsbeauftragte“ bildet unsere Tätigkeit aus unserer Sicht nicht korrekt ab. Unser Aufgabenbereich endet mit dem Beginn der Organentnahme im Operationssaal.

Frage: Was machen Sie genau als Organspendeberater_in?

Antwort Frank Logemann: Wie das Wort schon sagt, beraten wir zum Thema Organspende. Wir sind Berater und nicht Beauftragte, die Organ ranschaffen müssen! Unsere Hauptaufgabe sehen wir neben der Beratung der Angehörigen in der Beratung des Personals, das mit diesen Patient_innen beschäftigt ist. Um herauszufinden, wen wir beraten können, müssen wir vorher ein Screening machen. D.h. wir müssen auf den Intensivstationen schauen, bei welchen Patient_innen sich ein schwerer Hirnschaden abzeichnet und die damit ein potentieller Spender werden können. Das machen wir täglich - elektronisch, telefonisch oder direkt mit Anwesenheit vor Ort. Diejenigen, die wir dabei zunächst ausmachen, sind allerdings zu 99 Prozent Fehlanzeigen, also Patienten_innen mit eher geringen neurologischen Erkrankungen, die keinen irreversiblen Hirnfunktionsverlust nach sich ziehen.

Frage: 99 Prozent ist eine sehr hoher Quote!

Antwort Frank Logemann: Ja, aber wir gehen damit sehr sensibel um, damit kein potentieller Organspender verloren geht. Vor dem Hintergrund des großen Organbedarfs und dass wir zuletzt im einem Jahr nur fünf Organspender hier an der MHH hatten, dürfen wir uns einfach keine Ausfälle leisten. Kein Organspendewunsch darf uns verloren gehen - deshalb prüfen wir so genau. 

  •  Stichwort "irreversibler Hirnfunktionsausfall": Der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) ist Voraussetzung zur Organspende. Er bezeichnet den Tod eines Menschen. Das Gehirn führt seine Steuerungsfunktion nicht mehr aus. Nur mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen kann das Herz-Kreislauf-System künstlich aufrechterhalten werden. Auf diese Weise werden die Organe der verstorbenen Person weiter mit Sauerstoff versorgt. Ihre Funktionsfähigkeit bleibt erhalten und sie können so Patientinnen und Patienten transplantiert werden. (s. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA))

Frage: Nach welchen Kriterien genau suchen Sie?

Antwort Frank Logemann: Zunächst kommen alle Patient_innen mit schwerem Hirnschaden dafür infrage, dass man sie beobachtet. Wenn dann der Verdacht kommt, dass der Hirnfunktionsverlust schon eingetreten sein könnte, muss eine Hirnfunktionsdiagnostik vorgenommen werden. Das ist per Gesetz vorgeschrieben. Es gibt nur eine Ausnahme: Wenn die Angehörigen sagen, dass die Patientin oder der Patient das nicht gewollt hätte.

Frage: Bezogen auf Vorerkrankungen und den körperlichen Zustand - wer kommt als Organspender_in infrage?

Antwort Frank Logemann: Fast jeder. Menschen mit aktiven Tumorleiden kommen meistens nicht infrage genauso wie HIV-Infizierte. Ansonsten sind noch offene Tuberkulose und Prionen (Anm. d. Red.: höchstinfektiöse Erreger) Kontraindikationen. Selbst ein hohes Alter ist nicht per se ein Ausschlusskriterium.

"Wir wollen niemanden zum Ja zur Organspende drängen"

Frage: Wie beraten Sie die Angehörigen genau?

Antwort Frank Logemann: Völlig unerwartet sehen Angehörige meist einen geliebten Menschen, der noch voller Lebensfreude war und Ziele hatte, Urlaub mit der Familie gebucht hatte, plötzlich einfach so regungslos daliegen, ohne Perspektive. In dieser Stresssituation sind sie mit der Frage konfrontiert, ob sie oder er einer Organspende zugestimmt hätte. In dieser Situation sind wir da, um zu unterstützen, zu beraten und die Menschen abzuholen. Wir kennen den Stress und die Bedürfnisse der Angehörigen. Sie wollen nicht überfallen, sondern gestützt werden. Wir wollen mit ihnen den Willen des Spenders herausfinden, offen, ohne Druck - damit später Gewissenskonflikte vermieden werden. Wir wollen niemanden zum Ja zur Organspende drängen, weil es zu wenige Spender gibt.

Frage: Wie und wann kommen Sie in Kontakt mit den Angehörigen?

Antwort Frank Logemann: Ich vergleiche die Situation für die Patient_innen auf der Intensivstation am besten mit einem Dschungel. Da weiß man nicht, welche Gefahren dort lauern und wann und wie man wieder herauskommt Begleiter durch diesen Dschungel sind die Angehörigen und das Intensiv-Team aus Pflegenden und Ärztinnen und Ärzten auf der Station. Letztere sind die Scouts, die sich in dem Dschungel sehr gut auskennen. Die Angehörigen nehmen mit den Scouts Kontakt auf und haben i.d.R. Vertrauen zu diesen. Wenn dann festgestellt wird, dass es leider keinen Ausweg aus dem Dschungel gibt - kommt dann mit uns Organspendeberatern plötzlich jemand Neues in diesen Dschungel, dann ist unsere Arbeit manchmal sehr schwierig. Am liebsten würden wir schon ganz am Anfang dabei sein. Aber das macht natürlich keinen Sinn, wenn man eigentlich noch davon ausgehen kann, das alles für die Patientin oder den Patienten gut geht. Die optimalen Scouts sind tatsächlich die Mitarbeitenden auf der Station. Wenn hier Hilfe benötigt wird, bieten wir uns für die Gespräche mit den Angehörigen an, wir bieten uns quasi als Scouts für die Zukunft an.

Frage: Was passiert, wenn eine Patientin oder ein Patient sich nie zu Organspende geäußert hat, wie wird dann entschieden?

Antwort Frank Logemann: Dann müssen die nächsten Angehörigen entscheiden - und die entscheiden aus Gutdünken. Das kommt aber so häufig nicht vor, im Beispieljahr 2019 nur in 19 Prozent der Fälle, bei denen in Deutschland am Patienten ein zweifelsfreier Hirnfunktionsverlust festgestellt wurde. Bei diesen 19 Prozent entscheiden sich i.d.R. etwas mehr als die Hälfte der Angehörigen für die Organspende. Bei den anderen 81 Prozent der Fälle gibt es entweder eine schriftliche oder mündliche Äußerung der Patientin oder des Patienten oder zumindest kann aus dem früheren Verhalten darauf geschlossen werden, ob eine Organspende gewünscht worden wäre.

Frage: Welche Sicherheiten hat ein spendewilliger Mensch, dass er nicht vorschnell als Spender freigegeben wird?

Antwort Frank Logemann: Das wird viel in der Öffentlichkeit thematisiert, aber unsere Arbeit betrifft das tatsächlich eigentlich gar nicht, denn solche Bedenken hören wir nicht von den Angehörigen. Dennoch kann man sagen, dass die Richtlinie der Deutschen Bundesärztekammer zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls die penibelste weltweit ist. Sie ist sehr kompliziert, nicht jeder darf die Hirnfunktionsdiagnostik machen, es gibt eine Gegenkontrolle, alles ist transparent. Auch die DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) schaut noch mal in die Protokolle und checkt alles durch. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem der Hirnfunktionsausfall nach dieser Richtlinie bescheinigt wurde und er nicht zutraf.

"Wir müssen Pflegende und Ärzt_innen für das Thema sensibilisieren"

Frage: Wie wird man Organspendeberater_in?

Antwort Roswitha Terpe: Ich habe mit dieser Aufgabe jetzt ganz neu im Mai begonnen, nachdem ich zuvor angesprochen wurde. Voraussetzung ist auf jeden Fall eine gewisse Erfahrung. Ich selbst arbeite seit 40 Jahren im Bereich Intensiv-Pflege und habe schon früher sowohl mit Transplantierten wie mit Organspender_innen gearbeitet und kenne beide Seiten. Über die Jahre habe ich erlebt, wie entscheidend es ist, die Teams aus Pflegenden und Ärztinnen und Ärzten auf den Stationen für das Thema Organspende zu sensibilisieren. Deshalb sind die Fortbildungen durch uns so wichtig. Denn für das Personal auf den Stationen ist eine Organspende auch immer eine besondere Situation, etwa der Umgang mit den Angehörigen, die sie begleiten und denen sie viel erklären müssen - jenseits der Gespräche mit uns Organspendeberatern. Auch bei der Frage, ob das ein potentieller Organspender ist, gibt es viele Unsicherheiten bei den Mitarbeitenden, da sie nicht so häufig damit konfrontiert werden. Ein Grund für mich als Pflegende Organspendeberaterin zu werden, ist auch, dass ich das Thema noch stärker in die Pflegeausbildung bringen möchte, da haben wir noch ganz viel Potential, das wir nutzen müssen.

Frage: Sie sind aber auch noch in Ihrem ursprünglichen Beruf tätig?

Antwort Roswitha Terpe: Ja, wir sind dafür freigestellt. Morgens, wenn ich zur Arbeit komme, weiß ich nicht, welcher Job mich erwartet - das ist situationsbedingt. Aber das ist normal für mich, denn mein Arbeitsfeld in der Pflege ist noch nie planbar gewesen. Im Zweifelsfall müssen Dinge verschoben werden, das ist machbar.

Organspende bei Kreislauf-Tod als Alternative

Frage: Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Zahl der Organspender_innen in Deutschland sehr gering - bei großer Nachfrage. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit sich die Situation verbessert?

Antwort Frank Logemann: Im Bemühen um Spenderorgane sind wir mit den Transplantationsbeauftragten bzw. Organspendeberater_innen schon gut aufgestellt. Das Problem ist vielmehr die geringe Bereitschaft zum Spenden. Sicherlich kann man bei der Aufklärung der Bevölkerung noch viel mehr tun. Entscheidend ist aber auch, dass wir oft gar nicht so weit kommen, eine Hirnfunktionsdiagnostik am Patienten durchzuführen, weil die Angehörigen möchten, dass vorzeitig die Geräte abgestellt werden. Wir haben also oftmals gar nicht die Chance, die Zahl der Spenderorgane zu verbessern. Da haben wir heute eine ganz andere Situation als noch vor 20 Jahren. Viele besitzen heute eine Patientenverfügung oder sagen klar, dass sie nicht als Pflegefall leben wollen - das ist ja auch sehr verständlich, berechtigt und gut so. Nur erleben wir dann oftmals auf den Intensivstationen, dass schon gleich am Anfang einer Hirnerkrankung - obwohl noch berechtigte Hoffnung auf Überleben besteht - viele Angehörige sagen: "Das Weiterleben damit hätte sie/er nicht gewollt - bitte stellen Sie die Maschinen sofort ab".

Antwort Roswitha Terpe: Ich sehe das im Zusammenhang mit dem Trend in der Gesellschaft, dass wir alle bis ins hohe Alter fit und gesund sein wollen. Wenn das nicht mehr möglich ist, dann will man aber auch nicht mit Einschränkungen leben, also gar nicht mehr.

Frage: Hätte die Anfang des Jahres im Bundestag debattierte und dann abgelehnte Widerspruchslösung hilfreich sein können?

Antwort Roswitha Terpe: Ich glaube, das wäre in Deutschland auf wenig Akzeptanz gestoßen. Viele hätten das als Bevormundung empfunden und das hätte Widerstand hervorgerufen.

  • Stichwort "Widerspruchslösung": Abgeordnete aus CDU/CSU, SPD und Die Linke um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Karl Lauterbach legten im März 2019 einen Gesetzentwurf zur doppelten Widerspruchslösung vor. Er sieht vor, dass jede Bürgerin und jeder Bürger ab 16 Jahren als Organ- und Gewebespender gilt, es sei denn, er oder sie hat zu Lebzeiten widersprochen. Liegt kein Widerspruch vor, werden die Angehörigen gefragt, ob ihnen ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille des möglichen Spenders bekannt ist. Der Entwurf wurde im Januar 2020 abgelehnt.

Antwort Frank Logemann: Das sehe ich auch so. Ich glaube, es wäre besser, wenn wir das angehen, was schon in vielen anderen Ländern wie Spanien, England, Österreich und Italien umgesetzt wurde: Organspende bei Kreislauf-Tod. Viele Angehörige machen einen Schritt rückwärts, wenn sie nach Organspendebereitschaft gefragt werden und die "schlafende" Patientin/Patienten sehen. Dann zu glauben, dass da wirklich der Tod vorliegt, ist für viele Menschen nicht einfach. Bei einem Kreislauf-Verstorbenen ist das anders, da ist der Tod viel offensichtlicher, der Mensch ist blass und atmet nicht. Der Tod wird dadurch greifbarer. Wenn man sich im Vorfeld darauf verständigt hat, dass in diesem Fall - wenn der Kreislauf steht - die Organspende erfolgen darf, wäre das für die Angehörigen sicher leichter zu akzeptieren.

 


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