Forschung

Bekannter Erreger mit ungekannter Stärke

Extrem viele Babys und Kleinkinder leiden unter Atemwegsinfektionen durch RS-Viren

Vor einem Kinderbett in einem Krankenzimmer stehen PD Dr. Martin Wetzke und Professorin Dr. Gesine Hansen. Am Bett kümmert sich eine Pflegerin um ein krankes Kind.

Stand: 16. Dezember 2021

Fieber, Schnupfen, Husten, Halsschmerzen – viele Babys und Kleinkinder liegen derzeit mit einer Infektion im Bett. Häufig ist der Auslöser ist das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Das Virus ist nicht neu, doch in diesem Jahr tritt es ungewöhnlich früh und mit verstärkter Krankheitsaktivität auf. Viele der betroffenen Kleinen müssen stationär behandelt werden, Kliniken klagten bereits Anfang Oktober über volle Stationen. Das RS-Virus sorgt bei Menschen aller Altersstufen für Atemwegsinfektionen. In den ersten zwei Lebensjahren machen die meisten Menschen schon eine oder mehrere Infektionen durch. Im Laufe des Lebens stecken sie sich dann immer wieder damit an – und trainieren so ihr Immunsystem.

RSV trat 2021 sehr früh auf

„Während sich der Infekt im Erwachsenenalter oft nur durch einen Schnupfen äußert, kann RSV bei Säuglingen und Kleinkindern zu schweren Atemwegserkankungen bis hin zur Lungenentzündung führen“, erklärt PD Dr. Martin Wetzke, Oberarzt der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie. Diese Kinder müssen in Fachkliniken behandelt werden. „Infektionen mit RSV gibt es üblicherweise nur in den kalten Monaten, also etwa von Oktober bis Ostern“, sagt Professorin Dr. Gesine Hansen, Direktorin der Klinik. „In diesem Jahr traten die ersten Fälle bereits im August auf. Wir haben es mit sehr frühen, sehr häufigen und auch sehr schweren Infektionen zu tun.“

Die Ursache liegt wohl in der Corona-Pandemie. „Wegen Maskenpflicht, Abstandsgebot und Lockdown haben sich in den vergangenen 18 Monaten deutlich weniger Menschen mit dem RS-Virus angesteckt und konnten so auch keine Antikörper bilden“, erklärt Dr. Wetzke. Bei der Lockerung der Corona-Maßnahmen konnte das Virus dann auf mehr ungeschützte Menschen treffen und sich rasant verbreiten. „Schwangere konnten aufgrund der fehlenden Antikörper gegen das RSV auch weniger Immunität an das Ungeborene weitergeben.“ Antikörper werden über die Plazenta vermittelt. Stillende Mütter konnten über die Muttermilch nicht genügend Immunität an ihre Neugeborenen weitergeben. „Je weniger Antikörper Säuglinge haben, desto empfänglicher sind sie für schwere Infektionen.“ Besonders gefährdet seien Babys mit Vorerkrankungen oder extrem früh geborene Kinder. Weil die letzte RSV-Saison so gut wie ausgefallen sei, gebe es jetzt einen Nachholeffekt. „Im Grunde haben wir derzeit zwei Jahrgänge mit RSV-Infektionen.“

Forschende suchen Genmarker

Die Klinik forscht gemeinsam mit dem Virologen Professor Dr. Thomas Pietschmann (TWINCORE) intensiv an der Infektion– etwa im Exzellenzcluster RESIST. „Wir suchen unter anderem nach genetischen Markern, die eine schwere Erkrankung vorhersehbar machen. Wenn wir früh wissen, welche Kinder besonders anfällig dafür sind, könnten wir sie vorbeugend immunisieren“, sagt Professorin Hansen, Co-Sprecherin von RESIST.

Ein zweites Projekt ist die multizentrische PAPI-Studie in Zusammenarbeit mit der CAPNETZ-Stiftung. Dabei erheben die Forschenden über drei Winterhalbjahre Daten über die Häufigkeit, den Verlauf und die Erreger von Atemwegserkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern. In der Studie werden auch konkrete Fakten zu RSV-Infektionen erhoben. Wöchentlich aktualisierte Daten finden sich unter www.papi-studie.de. „Atemwegerkrankungen sind häufig. Dennoch liegen uns keine aktuellen epidemiologischen Daten zum Infektionsgeschehen vor“, sagt Grit Barten, Geschäftsführerin der CAPNETZ -Stiftung. „Deshalb sind die Ergebnisse im Hinblick auf neue Impfstrategien, die derzeit in Entwicklung sind, umso wichtiger.“

Autorin: Tina Götting