Forschung

Biologische Herzkammer aus dem Labor

BMBF fördert MHH-Projekt zu Herzunterstützungssystem mit drei Millionen Euro

Forschungskompetenz für eine biologische Herzprothese: Frau Dr. Birgit Hilke Andrée und Nils Benecke Copyright: Karin Kaiser/MHH

Stand: 21. Juli 2021

Mehr als 9.000 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan, etwa 700 davon warten auf ein Herz. Spenderorgane sind Mangelware, künstlich hergestellte Ersatzorgane noch Zukunftsmusik. Doch die Medizin kommt diesem Ziel näher – auch an der MHH. In dem Forschungsvorhaben „3D-Heart-2B“ wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie (HTTG) und den Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe (LEBAO) ein biologisches Herzunterstützungssystem entwickeln. Dabei werden sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) aus genetisch umprogrammierten humanen Gewebezellen eingesetzt, um daraus Herzmuskelzellen und blutgefäßauskleidende Endothelzellen herzustellen. Diese sollen den Grundbaustein für eine röhrenförmige Herzprothese bilden. Das Projekt ist 2020 als Sieger aus dem bundesweiten Wettbewerb „Organersatz aus dem Labor“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hervorgegangen und Ende Januar gestartet. Das BMBF unterstützt die Entwicklung des Einkammer-Herzens für drei Jahre mit drei Millionen Euro.

Ein solches Implantat könnte zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern helfen, bei denen erblich bedingt nur eine Herzkammer arbeitet. Ein gesundes Herz verfügt über zwei Kammern, die durch die Herzscheidewand voneinander getrennt sind. Die linke Herzkammer pumpt sauerstoffreiches Blut in die Körperschlagader, die rechte Herzkammer sauerstoffarmes Blut in die Lunge. Ist von Geburt an nur eine Herzkammer vorhanden oder funktionstüchtig, versorgt diese sowohl die Körper- als auch die Lungenschlagader. „Diese Patienten haben Mischblut im Herzen und müssen sich im Kindesalter einer sogenannten Fontan-Operation unterziehen, bei der die Kreisläufe getrennt werden“, erklärt HTTG-Klinikdirektor Professor Dr. Axel Haverich. Das unvollständige Herz hat jedoch weiterhin eine verminderte Pumpleistung.

Entwicklung nach Baukastenprinzip

Dieses Manko soll die aus Fibrin, Herzmuskelzellen und Herzklappen hergestellte biologische Herzprothese in Zukunft ausgleichen. Koordiniert wird das Projekt von Professorin Dr. Ina Gruh, die sich freut, dass „mit diesem Vorhaben genau unser Profil und unsere Erfahrungen aus nunmehr 20 Jahren Organersatz- und Stammzellforschung an der MHH abgebildet wird“. Das Einkammerherz soll modular entstehen. Stück für Stück wollen die Wissenschaftler biologische Bauteile entwickeln und nach dem Baukastenprinzip zusammensetzen. Zunächst werden noch undifferenzierte, sogenannte pluripotente iPS-Zellen produziert und dann durch molekularbiologische Signale gezielt in Herzmuskelzellen und Gefäßzellen umgewandelt. „Für eine spätere klinische Anwendung stellen wir die iPS-Zellen aus körpereigenen Zellen der Patientinnen und Patienten her“, erklärt Professor Dr. Ulrich Martin, wissenschaftlicher Leiter des LEBAO. Zusammen mit dem Protein Fibrin als Stützgerüst wird daraus ein Herzmuskelröhrchen hergestellt. Fibrin ist Hauptbestandteil der Blutgerinnung und wird als biologische Matrix vom Immunsystem akzeptiert. Das Röhrchen wird anschließend mit Gefäßen ausgestattet, in spezielle Bioreaktoren eingespannt und durchblutet.

Herzklappen lenken den Blutfluss

„Solche Herzmuskelröhrchen haben wir bereits erfolgreich entwickelt“, sagt Professorin Gruh. In einem weiteren Schritt soll das Röhrchen innen mit Endothelzellen ausgekleidet und mit zwei Herzklappen ausgestattet werden. „Dabei verwenden wir sogenannte dezellularisierte Homografts“, erklärt die Biochemikerin. Sie stammen aus den meist gut erhaltenen Herzklappen ansonsten geschädigter Herzen, die bei einer Transplantation gegen ein gesundes Organ ausgetauscht werden. Von den körpereigenen Zellen gereinigt, dienen die Homografts als immunneutrales Grundgerüst für neue Herzklappen. Durch die Herzklappen lässt sich der Blutfluss wie in einer echten Herzhälfte in eine Richtung lenken. Damit schließlich eine kompakte Herzröhre entsteht, sollen mehrere mit Gefäßen bestückte Röhrchen ineinandergesteckt werden und so die Stärke der Herzkammerwand erhöhen.

Allerdings fehlt dafür noch das speziell entwickelte und an den MHH-Forschungswerkstätten konstruierte größere Gerät zur Fibrinverdichtung. „Vieles haben wir aber in Vorarbeiten bereits ausprobiert und gesehen, dass es funktioniert“, sagt Professorin Gruh. Bis das Einkammerherz zum Einsatz kommt, liegt jedoch noch viel Arbeit vor dem Forschungsteam. Zunächst müssten die benötigten Gewebe verlässlich hergestellt werden. „Am Ende der Projektlaufzeit wollen wir aber auf jeden Fall soweit sein, dass wir das Konstrukt im Tiermodell testen können“, betont die Wissenschaftlerin. Spätere klinische Studien werden dann zeigen, ob die Herzprothese aus der MHH auch im Menschen funktioniert.

Wer macht was?
Für das 3D-Heart-2B-Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Biologie, Biochemie und Medizin der Klinik HTTG und der MHH-Forschungseinrichtung LEBAO in einem Kompetenznetzwerk zusammen.
Dr. Robert Zweigerdt und Dr. Ruth Olmer produzieren Herzmuskelzellen und Endothelzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen.
Dr. Thomas Aper ist Gefäßchirurg und Experte für die von ihm entwickelte Fibrinprothese.
Professorin Dr. Ina Gruh züchtet Röhrchen aus Herzmuskelzellen und dem Trägereiweiß Fibrin, außerdem überprüft sie die Funktion der Herzprothese.
Dr. Andres Hilfiker sorgt für die Gefäßversorgung (Vaskularisierung) der Herzprothese in speziell angefertigten Bioreaktoren. Professor Dr. Andreas Martens untersucht, wie das Einkammerherz im Tiermodell arbeitet.

Autorin: Kirsten Pötzke