Forschung

Innovative Therapie: MHH-Kardiologie kann jetzt jede Herzklappe minimalinvasiv ersetzen

Erste Patientin erhält Trikuspidalklappe dank neuartigem Kathetersystem ohne große Operation

Drei Ärzte in weißen Kitteln, einer hält die neue Prothese für die Trikuspidalklappe in der Hand.

Die neuartige Prothese für die Trikuspidalklappe: Sie wird mithilfe eines Katheters ins Herz gebracht und dort positioniert. Copyright: Karin Kaiser / MHH

Das menschliche Herz besitzt vier Herzklappen. Sie sorgen dafür, dass das Blut mit jedem Herzschlag in die richtige Richtung fließt. Schließt eine Herzklappe nicht mehr richtig, muss sie eventuell durch eine Prothese ersetzt werden. Bisher war es nur bei drei Herzklappen möglich, diesen Eingriff minimalinvasiv vorzunehmen, also ohne große Operation. Dank eines neuartigen Kathetersystems funktioniert das jetzt auch bei der vierten, der Trikuspidalklappe. Die Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat das Verfahren als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland eingeführt. Ende März 2024 wurde dort einer Patientin die erste sogenannte Evoque-Prothese in Niedersachsen implantiert.

Wertvolle Ergänzung zu Therapieangeboten

„Das neue katheterbasierte System ist eine wertvolle Ergänzung zu unseren bereits bestehenden Therapieangeboten bei Herzklappendefekten“, erklärt Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie. „Es eignet sich vor allem für Patientinnen und Patienten mit einer schweren Undichte der Trikuspidalklappe, die mit anderen verfügbaren Behandlungsmethoden nicht zu beheben ist.“ Die Trikuspidalklappe ist das Ventil zwischen dem rechten Vorhof und der rechten Herzkammer. Durch sie fließt sauerstoffarmes Blut aus dem Körper in die rechte Herzkammer und wird von dort in die Lungen gepumpt. Die Klappe verhindert, dass das Blut während des Pumpvorgangs zurück in den rechten Vorhof fließt. Ist sie undicht, leiden die Betroffenen häufig unter Atemnot, Wassereinlagerungen in den Beinen und Abgeschlagenheit.

Eingriff mit spezialisiertem Herzteam

Die erste Patientin, die in der MHH die neuartige Prothese erhielt, ist Karin D. aus Hannover. Das Herz macht der sportlichen, schlanken Frau schon länger Probleme.  „2019 habe ich drei Bypässe bekommen. Bei dem anschließenden Rehabilitationsaufenthalt stellte man dann fest, dass auch zwei Herzklappen undicht sind. Eine davon war die Trikuspidalklappe“, berichtet die 75-Jährige. Bei körperlichen Anstrengungen wurde Karin D. schnell kurzatmig. „Ich war nicht mehr belastbar und konnte nicht mehr unbeschwert aktiv sein“, beschreibt sie ihren Zustand vor dem Eingriff.  „In Anbetracht ihrer Vorgeschichte und nach genauer Abwägung aller therapeutischen Optionen haben wir uns bei ihr für die kathetergestützte Implantation des Klappenersatzes entschieden. Wir waren froh, ihr dieses neue Verfahren anbieten zu können“, sagt Professor Dr. Tibor Kempf, der den Eingriff gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Dominik Berliner und einem spezialisierten Herzteam durchführte.

Prothese entfaltet sich im Herz

Bei der komplexen Methode bringen die Fachleute die Prothese mithilfe eines Katheters über einen Leistenzugang durch die Hohlvene bis ins Herz. Dort verankern sie die Prothese in der natürlichen Herzklappe. Die Evoque-Prothese ist aus Bindegewebe aufgebaut und hat außen ein Nitinol-Drahtgeflecht. Dieses Geflecht wird für den Transport zum Herz zunächst im Katheter zusammengepresst. Im Herz angekommen, wird es dann an der gewünschten Position freigesetzt und entfaltet sich. Den gesamten Eingriff kontrollieren die Herzspezialisten mit Ultraschall, die Patienten befinden sich in Vollnarkose. „Die neue Klappe passt sich den anatomischen Gegebenheiten an und nimmt sofort ihre Funktion auf“, erläutert Dr. Dominik Berliner. Durch die Prothese wird – wie bei einer natürlichen Klappe – das Blut gepumpt.

Mit neuer Herzklappe lassen Beschwerden nach

Wenige Tage nach dem Eingriff können die Patientinnen und Patienten aus der Klinik entlassen werden.  „Mit einer neuen Herzklappe lassen die Beschwerden in der Regel deutlich nach. Dadurch erlangen die Betroffenen ein hohes Maß an Lebensqualität zurück“, sagt Professor Kempf. Karin D. ist zuversichtlich, dass es auch bei ihr so sein wird. Zwei Tage nach der Implantation fühlt sie sich wohlauf. „Wir hoffen, zukünftig noch mehr Menschen mit dem neuen katheterbasierten System behandeln zu können. Innovationen wie diese tragen dazu bei, die Versorgungsqualität insgesamt zu verbessern und unseren Patientinnen und Patienten maßgeschneiderte Therapieangebote machen zu können“, betont Klinikdirektor Professor Bauersachs.

Text: Tina Götting