Studium und Lehre

Vom Exotenfach zum modularen Studiengang

Seit 55 Jahren gibt es den Studiengang Biochemie an der MHH in Kooperation mit der Leibniz Universität. Im Jahr 1970 zählte Hannover damit zu den ersten Standorten, die dieses Studium in Deutschland einführten, damals noch zusammen mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Zur akademischen Feierstunde blickten ehemalige Absolventinnen und Absolventen zurück.

Blickten gemeinsam auf die Anfänge des Studiengangs Biochemie an der MHH zurück: Prof. Dr. Josef Köhrle, Dr. Karsten Henco, Dr. Elisabeth Schrader, Prof. Dr. Dr. Burkhard Tümmler und Dr. Wolfgang Leicht (von links). Copyright: Gustav Meyer/MHH

Ein Blick in den gut gefüllten Hörsaal D. Copyright: Gustav Meyer/MHH

Im Studienjahr 1970/71 wurde der gemeinsame Diplomstudiengang Biochemie ins Leben gerufen, damals mit nur zehn Studierenden. Sie sollten umfassende Kenntnisse in den naturwissenschaftlichen Grundlagen sowie der fortgeschrittenen biochemischen Forschung erwerben. Bereits 1972 erlangte die erste Absolventin Elisabeth Schrader, damals noch unter ihrem Mädchennamen Putze, ihren Abschluss. Sie hatte im Studienjahr 1966/67 mit dem Studium der Biochemie in Hannover im Alleingang und im Vertrauen auf dessen Begründer, Professor Walter Lamprecht vom neu gegründeten Department Biochemie der MHH, begonnen. Dabei nahm sie zunächst an der Technischen Hochschule Hannover das Diplomstudium Chemie auf, welches 1968 mit dem vorläufigen Diplomstudiengang Biochemie weiterging.

Erste Absolventin der Biochemie

„Im Jahr 1966 waren Frauen in der naturwissenschaftlichen Fakultät noch sehr selten, so dass meine Einladung zur Begrüßung noch an Herrn E. Putze ging“, erinnert sich Elisabeth Schrader. „Das Studium zu erarbeiten und zu erkämpfen an den vielen Orten in und außerhalb von Hannover hat mir viel Arbeit und trotzdem Spaß gemacht.“ An ihrem Examenstag im Juli 1972 würdigte Professor Walther Lamprecht zusammen mit Professor Gerhard Richter vom Botanischen Institut der Technischen Universität Hannover sie für ihre Leistung „als erste Dame aller deutschen Bundesländer außer Tübingen, die dieses Studium erfolgreich absolvierte“ (HAZ-Artikel vom 4. Juli 1972). Elisabeth Schrader studierte anschließend noch Humanmedizin an der MHH, wurde Betriebsärztin der Hochschule und konnte so Familie und Arbeit gut miteinander verbinden. Ihren fachlichen Schwerpunkt legte sie auf die Arbeitsmedizin, hier war und ist sie beratend für viele Unternehmen in Hannover tätig.

Vom Aufbau einer Fachschaft Biochemie

Ihr Kommilitone Wolfgang Leicht kam damals extra aus Süddeutschland nach Hannover, obwohl es in Tübingen bereits einen Biochemie-Studiengang gab. „Da war mir leider der Numerus Clausus zu hoch, in Hannover gab es den noch nicht. Da war alles noch im Aufbau, auch die Studien- und Prüfungsordnung“, erinnert er sich an seine vergleichsweise unkomplizierte Aufnahme des Studiums. Auch die Praktika mussten die Studierenden noch mit aufbauen, nicht selten Professoren suchen oder direkt ansprechen, um sich von ihnen unterrichten zu lassen, erzählt er. Als sich die Professoren der TU und der MHH nicht auf die in der Studienordnung festzulegenden Praktika und Studieninhalte einigen konnten, engagierte sich Leicht früh für eine eigene Fachschaft und arbeitete in den akademischen Gremien mit. Als promovierter Diplom-Biochemiker ging er später in die Industrie, forschte zu Insektiziden bei Bayer Leverkusen. 

Von der MHH zum Mitbegründer eines börsennotierten Unternehmens

Dr. Karsten Henco gehörte ebenfalls zu den ersten Biochemie-Studenten in Hannover. Er ist heute einer der bekanntesten deutschen Wissenschaftler im Bereich der Biotechnologie und Mitgründer von Qiagen N.V., einem börsennotierten Anbieter von Probenvorbereitungs- und Testtechnologien für die molekulare Diagnostik, akademische Forschung, pharmazeutische Industrie und angewandte Testverfahren mit Standorten in mehr als 25 Ländern. „Schon damals reizte mich die Vorstellung, mit meiner Forschung dazu beizutragen, neue Arzneimittel und Therapien zu entwickeln – und damit vielen Menschen zu helfen“, erinnert sich der heute 73-Jährige. „Das Studium an der MHH war damals schon extrem praxisnah. Wir waren früh Teil der Laborgruppe und wurden in den Praktika direkt von den Professoren unterrichtet“, erinnert er sich an sein Studium der Biochemie. Einer seiner Ziehväter war später Professor Manfred Eigen, Chemie-Nobelpreisträger und Begründer des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen. Bereits 1982 wurde Henco von der BASF angeworben, um die neue Disziplin der Gentechnik einzuführen. Hier initiierte er mit einer Forschergruppe die Entwicklung des Rheumamittels Humira, eines der umsatzstärksten Medikamente der Welt. Er wollte sich weiterentwickeln, und gründete später mit Qiagen sein erstes eigenes Unternehmen. Heute hat er es sich zur Aufgabe gemacht, junge innovative Life-Science-Unternehmen bei ihrer Gründung zu unterstützen.

Die Endokrinologie und Hormontherapie als Forschungsschwerpunkt

In die Wissenschaft zog es Professor Dr. Josef Köhrle, der heute noch als Seniorprofessor am Institut für Experimentelle Endokrinologie der Charité in Berlin arbeitet. Bereits nach seinem Diplom in Biochemie Anfang der 1970er Jahre entdeckte er die Endokrinologie und Hormontherapie für sich. An der MHH schloss er sich der Arbeitsgruppe von Professor Dieter Hesch an, der damals mit Professor Alexander von zur Mühlen die Abteilung für Klinische Endokrinologie leitete.

Nach einem Forschungsaufenthalt in den USA setzte Köhrle seine Forschungsarbeiten an der Medizinische Poliklinik der Universität Würzburg erfolgreich fort. Anfang der 2000er Jahre holte ihn die Charité nach Berlin. Hier gründete er ein DFG-Schwerpunktprogramm zu Selenoproteinen und ein endokrinologisch ausgerichtetes Graduiertenkolleg S. Er war an einer klinischen Forschergruppe zur Gewichtsregulation sowie an einem Transregio-Sonderforschungsbereich zur lokalen Wirkung von Schilddrüsenhormonen beteiligt. Wenn Prof. Josef Köhrle heute auf die „sehr herausfordernden Anfänge“ der Biochemie in Hannover im Jahr 1970 zurückblickt, hätte er sich keine besseren Startbedingungen wünschen können: „Die Biochemie in Hannover war damals schon sehr interdisziplinär aufgestellt. Wir hatten die freie Wahl bei den Dozierenden und auch bei den Praktika im Labor“, erinnert er sich.

Bis heute aktiv in der Forschung an der MHH geblieben

An der MHH bis heute aktiv in der Forschung geblieben ist Professor Dr. Dr. Burkhard Tümmler. Er studierte von 1971 bis1976 Biochemie und nahm zwei Jahre vor seinem Abschluss auch noch das Studium der Humanmedizin an der MHH auf (1974-1981). Tümmler promovierte in der Physikalischen Chemie und Humangenetik zum Dr. rer. nat. (1979) und Dr. med. (1984) und habilitierte sich 1991 für das Fach Biochemie. Von 1993 bis 2022 leitet er die klinische Forschergruppe „Molekulare Pathologie der Mukoviszidose“ am Zentrum Biochemie und Zentrum Kinder- und Jugendmedizin. Klinisch beteiligt er sich seit 1983 an der Betreuung von Patienten mit Mukoviszidose. Zur akademischen Feierstunde blickte er in einem Vortrag genauer auf die Entwicklung „seines“ Fachgebietes Biochemie zurück.

Text: Bettina Dunker