Forschung

Bessere Versorgung und Lebensqualität für herzkranke Kinder

MHH-Studie untersucht die Auswirkung der Thymusentfernung auf das Immunsystem bei Kindern nach Herz-OP und will eine Datengrundlage für neue Therapie- und Vorsorgestrategien schaffen.

Ein Arzt steht vor einem Ultraschallgerät in der MHH-Kinderklinik.

Den Auswirkungen der Thymusentfernung bei Kinder-Herz-OPs auf der Spur: Privatdozent Dr. Martin Böhne. Copyright: Karin Kaiser / MHH

Viele Kinder mit angeborenem Herzfehler benötigen oft schon in der Neugeborenen- oder Säuglingszeit eine Herzoperation. Eine gute Übersicht und ein sicherer Zugang sind angesichts der kleinen Körper- und Organverhältnisse für die erfolgreiche Operation extrem wichtig. Daher wird das Gewebe zwischen dem Herzen und dem Brustbein präpariert und auch der hinter dem Brustbein gelegene Thymus, ein wichtiger Teil des Immunsystems, teilweise oder komplett entnommen. Diese sogenannte Thymektomie wurde über die letzten Jahrzehnte für unbedenklich gehalten, da frühere Studien keine klinischen Auswirkungen feststellen konnten. Neue wissenschaftliche Studien mit modernen Untersuchungsmethoden sollen nun die kurz- oder langfristigen Auswirkungen einer partiellen oder kompletten Thymektomie auf das Immunsystem bei diesen Kindern untersuchen. Weitgehend ungeklärt ist, auf welche Weise eine Thymektomie frühkindliche Reifungsprozesse und Reaktionsfähigkeit des Immunsystems verändert, wie zum Beispiel die Bildung von Antikörpern nach Infektionen oder Impfungen.

 

Ein Forschungsteam um Privatdozent (PD) Dr. Martin Böhne, Oberarzt an der Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), will in Kooperation mit Professorin PhD Sarina Ravens vom MHH-Institut für Immunologie die Immunreifung und Immunkompetenz betroffener Kinder bestimmen und Risikogruppen identifizieren, bei denen die Thymus-Entfernung im späteren Lebensalter zu einem weniger schlagkräftigen Immunsystem führen könnte. Die Forschenden wollen so eine Datengrundlage für neue Therapie- und Vorsorgestrategien schaffen. Die Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren „Kinderherzen“ fördert das Projekt über zweieinhalb Jahre mit rund 240.000 Euro.

Effekte bei Neugeborenen vermutlich besonders groß

„Der Thymus ist das zentrale Organ für die Bildung und Reifung von bestimmten weißen Abwehrzellen, den sogenannten T-Lymphozyten“, sagt PD Dr. Böhne. In neueren Studien gibt es erste Hinweise, dass sich nach einer Thymektomie das Risiko für Infektionen, Autoimmunerkrankungen, Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), Diabetes mellitus Typ 1, Krebserkrankungen und Asthma bronchiale im Jugend- und Erwachsenenalter möglicherweise erhöht. „Bis vor wenigen Jahren war es das Ziel, dass Kinder mit schweren Herzfehlern überhaupt überleben“, erklärt der Oberarzt. Heute erreiche die Mehrheit der Kinder mit angeborenem Herzfehler das Erwachsenenalter. „Wir müssen uns nicht zuletzt auch durch deutlich verbesserte Untersuchungsmethoden daher mit der Frage beschäftigen, wie wir die Lebensqualität erhöhen können.“

 

Insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen werden erhebliche Effekte aufgrund der Thymusentfernung erwartet. Denn bei ihnen entwickelt sich das Immunsystem vor allem nach der Geburt, wenn es sich mit der neuen Umwelt auseinandersetzt und so ein immunologisches Gedächtnis ausbildet. „In dieser sensiblen Phase könnte durch die Entfernung des Thymus die normale Reifung und Anpassung des Immunsystems auf Umweltfaktoren und damit die Abwehr von Krankheitserregern beeinträchtigt sein“, vermutet PD Dr. Böhne. „Aus den bisher veröffentlichten Studien lässt sich aber nicht ableiten, ob bestimmte Veränderungen des Immunsystems vom Lebensalter abhängig sind, in dem die Thymektomie durchgeführt wurde.“

 

Untersuchung verschiedener Altersgruppen

In dem Projekt schauen sich die Forschenden nun T-Zellen des angeborenen und des erworbenen Immunsystems im Detail an. Dafür untersuchen sie das Immunsystem von Kindern unterschiedlicher Altersgruppen anhand einer kleinen Blutprobe. Eine Gruppe besteht aus älteren Kindern, bei denen schon in der frühen Kindheit im Rahmen der Operation eines angeborenen Herzfehlers der Thymus entfernt wurde. Eine zweite umfasst Neugeborene, Säuglinge und junge Kleinkinder, denen eine Herzoperation mit möglicher Entfernung des Thymus noch bevorsteht. Hier steht das Immunsystem vor der Operation und im weiteren Verlauf der Entwicklung im Fokus. Die Ergebnisse vergleichen die Forschenden dann mit dem Immunstatus gleichaltriger herzgesunder Kinder. „Darüber hinaus ermitteln wir die durch Impfungen gebildeten Antikörper, um Rückschlüsse auf den Schutz vor Krankheiten bei Kindern mit angeborenen Herzfehlern zu ziehen“, führt PD Dr. Böhne aus.

Vorsorgemaßnahmen für Risikogruppen

„Durch unsere Forschung wollen wir verstehen, ob es Risikogruppen oder bestimmte Herzfehler gibt, bei denen besonders ausgeprägte Veränderungen des Immunsystems auftreten“, betont PD Dr. Böhne. „Außerdem wollen wir ermitteln, ob und welche möglichen Auswirkungen auf das Immunsystems auch nach mehreren Jahren nachweisbar sind und ob Kinder durch die regulären Impfungen auch nach Entfernung des Thymus einen ausreichenden Schutz gegen diese Krankheiten aufbauen können.“ Ziel ist es, die Entwicklung von speziellen Vorsorgemaßnahmen für Risikogruppen voranzubringen, um die Veränderungen des Immunsystems zu minimieren oder sogar zu verhindern. „Unsere Erkenntnisse könnten zukünftig dazu beitragen, das bisherige Impfschema für Kinder mit angeborenem Herzfehler speziell anzupassen oder auch die Operationstechniken hin zu mehr Thymuserhaltung zu verändern“, hofft der Kinderkardiologe.

Text: Kirsten Pötzke