Gesundheit

Kleiner Stich, große Gefahr: Was Sie über Insektengiftallergie wissen sollten

Ein Insektenstich tut weh, ist aber meistens keine große Sache. Manche Menschen reagieren aber so heftig, dass sie medizinsche Hilfe benötigen. Auf was Sie achten sollten, erfahren Sie hier.

Dr. Dorothea Wieczorek und Prof. Dr. Alexander Kapp. Copyright: privat, Karin Kaiser/MHH

Stand: 21. August 2020

Bienen und Wespen sind zurzeit draußen im Garten oder auf dem Balkon unsere ständigen (ungebetenen) Begleiter. Vor allem wenn wir sie mit Leckereien und süßen Getränken anlocken. Da ist es schnell passiert: Das Insekt fühlt sich bedroht und sticht zu. So ein Stich ist ärgerlich und schmerzhaft. Aber normalerweise passiert außer einem lokalen Anschwellen rund um die Einstichstelle nichts. Es gibt aber auch Menschen, die besonders sensibel reagieren, also allergisch sind. Für sie kann so ein Stich sehr unangenehme Folgen haben, die den ganzen Körper betreffen und unter Umständen auch Lebensgefahr bedeuten. Unsere Experten Professor Dr. Alexander Kapp und Dr. Dorothea Wieczorek aus der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie im Interview zu diesen Gefahren, Therapiemöglichkeiten und Schutzmaßnahmen.

Frage: Welche Insekten können gefährlich werden, wenn man allergisch ist?

Dr. Wieczorek: Bei uns in Deutschland sind das vor allem Bienen und Wespen, aber auch Hornissen und Hummeln. Hummeln sind mit den Bienen verwandt, Hornissen wiederum mit den Wespen. Wobei die Hummel die friedliebendste von den genannten ist. Die wenigsten unserer Patienten haben den Stich von einer Hummel bekommen. Es ist aber auch meist ein selbstgemachtes Übel: Wenn man auf das Insekt drauftritt oder es mit der Hand wegschlägt, dann wehrt es sich und sticht zu.

Frage: Gibt es Unterschiede in der Gefährlichkeit?

Prof. Dr. Kapp: Nein, das ist ganz individuell und hängt vom Sensibilisierungsgrad ab. Jemand, der auf Bienengift sensibel reagiert, kann die gleichen Symptome haben, wie jemand, der auf Wespengift reagiert.

Frage: Was für Symptome können nach einem Stich auftreten?

Dr. Wieczorek: Eine Rötung der Haut, Schmerzen an der Einstichstelle und eine lokale Schwellung sind normale Reaktionen. Das geht auch ohne Behandlung innerhalb weniger Stunden bis Tage wieder zurück.

Prof. Dr. Kapp: Eine allergische Reaktion tritt fern von der Einstichstelle auf. Je nach Schweregrad können dann mehrere Organsysteme wie Haut, Lunge, Herz oder Darm betroffen sein. Starke Atemnot und Schwindel sind möglich. Das kann bis zum Herz-Kreislaufversagen führen, zum sogenannten anaphylaktischen Schock, die maximal mögliche Reaktion. 

Dr. Wieczorek: Es gibt auch Risikogruppen bei Patienten, die ohne die zunächst typischen Hautsymptome sofort die schweren Reaktionen zeigen. Das betrifft zum Beispiel Patienten mit Mastzellen-Erkrankungen. Das ist eine ganze Erkrankungsgruppe mit verschiedenen Krankheitsbildern.

Prof. Dr. Kapp: Mastzellen enthalten Botenstoffe, die bei allergischen Reaktionen freigesetzt werden. Patienten mit Mastzellerkrankungen zeigen eine Vermehrung und eine leichtere Erregbarkeit der Zellen. Dadurch führt ein Auslöser, also ein Stich, gleich zu einer maximalen Reaktion. Damit sind diese Patienten besonders gefährdet.

 

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Frage: Nach einem Stich - was kann man als Erste Hilfe selbst tun?

Dr. Wieczorek: Bei rein lokalen Beschwerden auf der Haut reicht es aus, ein Gel aufzutragen und die Hautstelle reichlich zu kühlen. Bei einem Stich im Mund können zum Beispiel sehr gut Eiswürfel gelutscht werden.

Frage: Wann sollte man nach einem Stich zum Arzt gehen?

Dr. Wieczorek: Wenn man nach dem Stich andere Beschwerden hat als lokal an der Einstichstelle, also zum Beispiel Quaddeln, Atemnot, Übelkeit oder auch Juckreiz an den Handinnenflächen und Fußsohlen, dann besteht auf jeden Fall eine Notfallsituation.

Prof. Dr. Kapp: Und dann kommt der Patient unter Umständen gar nicht mehr rechtzeitig zum Arzt. Das heißt, wenn er keine Notfallmedikamente bei sich hat, muss der Rettungswagen kommen.

Frage: Das heißt, als Allergiker_in muss ich immer bestimmte Medikamente vorrätig haben?

Dr. Wieczorek: Genau. Üblicherweise hat man dann ein Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor, einem flüssigen Antihistaminikum und einem flüssigen Kortisonpräparat. Individuell muss dann jeder Patient beraten werden, um die Medikamente richtig anzuwenden. Auch Angehörige sollten darin geschult sein. Das ist besonders wichtig natürlich bei Kindern.

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Frage: Wenn man nicht weiß, ob man Allergiker ist, kann man dann zum Arzt gehen und sich testen lassen?

Dr. Wieczorek: Das empfehlen wir nicht. Denn selbst wenn bei dem Test Antikörper gefunden werden, heißt das noch lange nicht, dass man bei einem Stich allergisch reagiert. Das würde unnötig verunsichern.

Prof. Dr. Kapp: Erst wenn der Patient einmal ein Symptom fern der Stichstelle gehabt hat, lohnt sich eine Untersuchung. Und zwar am besten beim Spezialisten, dem Allergologen und am besten noch in einem Allergiezentrum.

Frage: Was macht dieser Spezialist dann?

Prof. Dr. Kapp: Wichtig ist zunächst die ausführliche Anamnese, also die Überprüfung der Krankheitsvorgeschichte. Zunächst wird der Arzt dem Patienten bei passender Vorgeschichte - im Zweifelsfall noch vor der Diagnostik - das erwähnte Notfallset aushändigen, damit er akut geschützt ist. Die Diagnostik besteht dann aus Bluttest, Hauttest und zellulärer Funktionsdiagnostik. Das Blut wird auf Antikörper gegen die Gifte und ihre Bestandteile untersucht und auf der Haut sowie in den basophilen Blutzellen testet man die Reaktion auf die verschiedenen Gifte. Nach den Ergebnissen sprechen wir eine Empfehlung aus, ob eine spezifische Immuntherapie vorgenommen werden sollte. Erfreulicherweise hat diese Form der Therapie extrem hohe Erfolgsquoten, weit über 90 Prozent.

Frage: Wie läuft diese Therapie genau ab?

Prof. Dr. Kapp: Man spritzt im Rahmen eines kurzen stationären Krankenhausaufenthalts unter Überwachung das Gift in ansteigender Dosis unter die Haut und erzeugt damit erst mal eine sogenannte pharmakologische Toleranz, damit der Patient das Gift verträgt. Und irgendwann entwickelt der Köper dann im Verlauf der Therapie auch eine immunologische Toleranz gegen dieses Gift. Das Entscheidende ist, dass dieses Gift in regelmäßigen Abständen ambulant weiter injiziert wird. Je nach Schweregrad geht das über einige Jahre oder auch lebenslang. Man muss in dieser Zeit beobachten, was passiert, wenn der Patient erneut gestochen wird. Verträgt er den Stich, war die Therapie erfolgreich. Wenn nicht, war die bisher verabreichte Giftdosis nicht ausreichend und muss angepasst werden.

Dr. Wieczorek: Wichtig ist hier noch die allgemeine Information über diese Therapieform. Wir haben Patienten, die teilweise erst Jahre nach einem Stich kommen, weil sie nicht wussten, dass es eine Therapiemöglichkeit gibt.

Prof. Dr. Kapp: Genau und deshalb sollten die Patienten vor allem auch in den Notfallambulanzen darauf hingewiesen werden, dass so eine Therapie möglich ist. An dieser Stelle gibt es aber eine Lücke, da die Notfallbehandlung eben nicht von Allergologen, sondern von Notfallmedizinern gemacht wird und damit die entsprechende Information häufig nicht die Patienten erreicht.

Frage: Wie kann man sich vor Insektenstichen schützen?

Dr. Wieczorek: Allergiker sollten natürlich ihr Notfallset stets griffbereit haben. Ansonsten gilt: Am besten ist es, den Insekten aus dem Weg zu gehen und sie auf keinen Fall aggressiv zu machen. Auf Anpusten reagieren sie zum Beispiel sofort, denn das ausgestoßene CO2 ist für sie ein Alarmsignal. Beim Essen und Trinken im Freien sollte man darauf achten, die Sachen gleich wegzuräumen, wenn man fertig ist. Auch wichtig gerade bei Kindern ist es, dass der Mund abgewischt wird. Ebenso können grelle Farben und manche Parfums Insekten anlocken.

Interview: Vanessa Meyer/MHH