MHH-Wissenschaftler Professor Dr. Dr. Axel Schambach erhält zum zweiten Mal den begehrten Proof of Concept-Grant für seine Pionierforschung zum Usher-Syndrom. Er möchte eine gesunde Kopie des defekten Gens direkt in das Auge einbringen und so eine drohende Erblindung verhindern.

Beim Usher-Syndrom vielleicht bald Realität: Heilung per Gentaxi. Copyright: pixabay, Karin Kaiser/MHH
Es gibt verschiedene erblich bedingte Ursachen, weshalb Menschen einen Sehverlust erleiden. Eine besonders schwere Form ist das Usher-Syndrom Typ 1B (USH1B). Neben dem allmählichen Verlust des Sehvermögens leiden Betroffene auch an hochgradiger Taubheit und Gleichgewichtsstörungen. Verantwortlich dafür ist eine Mutation in einem Gen namens MYO7A. Erbt ein Mensch das geschädigte Gen sowohl vom Vater als auch von der Mutter, kann keine gesunde Variante diesen Mangel ausgleichen und die Erkrankung setzt sich durch. Professor Dr. Dr. Axel Schambach, Leiter des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), will Betroffene mit Hilfe von Gentherapie vor den Folgen dieser Genmutation schützen. Dafür hat er bereits eine der höchsten Förderungen der Europäischen Union für exzellente Wissenschaft erhalten. Sein Forschungsvorhaben iHEAR wurde mit dem begehrten Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Im anschließenden Proof of Concept (POC)-Projekt MY-O-SENSES ist es seinem Forschungsteam mit seinen Kooperationspartnern gelungen, intakte Kopien des geschädigten Gens in das Innenohr zu schleusen und dort die Hör- und Gleichgewichtsstörungen zumindest teilweise zu korrigieren. Das neue Projekt EuroVision erhält nun ebenfalls eine PoC-Förderung und hat zum Ziel, die erfolgreiche Gentherapie nun auf das Auge auszuweiten.
Gentaxi bringt intakte Kopie ans Ziel
Das Sehvermögen ist unser wertvollster Sinn, gefolgt vom Gehör und dem Gleichgewichtssinn. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Menschen von mittelschwerer bis schwerer Sehbehinderung betroffen, schätzungsweise 43 Millionen Menschen sind blind. Sogenannte monogene Erkrankungen, die durch Mutationen in einem einzelnen Gen – wie etwa MYO7A – verursacht werden, sind für den Sehverlust von mehr als zwei Millionen Menschen verantwortlich. „Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten für genetisch bedingten Sehverlust sind begrenzt“, sagt Professor Schambach. Daher bestehe ein hoher klinischer Bedarf an innovativen Ansätzen wie der Gentherapie. Im Projekt EuroVision wollen die Forschenden unmittelbar an den Ursachen ansetzen und eine gesunde Variante des Gens MYO7A direkt auf die Netzhaut bringen, wo die Sinneszellen für die Verarbeitung der Lichtreize sitzen. Das geschieht mit einem sogenannten viralen Vektor, umgangssprachlich auch Gentaxi genannt. „Da MYO7A ein sehr großes Gen ist, benötigen wir sozusagen ein Gentaxi mit großem Kofferraum“, erklärt der Molekularmediziner. Das Forschungsteam nutzt daher Lentivirale Vektoren (LV), die eine große Menge an Genmaterial tragen können, ohne sie unterwegs zu verlieren. Das LV-System wurde im Projekt iHEAR entwickelt und im Projekt MY-O-SENSES so verbessert, dass es möglichst sicher und effektiv ist. Das Gentaxi wird per Mikroinjektion ins Auge verabreicht und soll das therapeutische Gen zielgenau in die Netzhaut bringen, die das Innere des Auges wie eine Tapete auskleidet.
Anwendung im Auge komplizierter
Zwar verhalten sich die Lichtrezeptoren im Auge ähnlich wie die für die Schallwahrnehmung und die Lageerfassung zuständigen Haarsinneszellen im Innenohr. Allerdings ist die Anwendung des Lentiviralen Vektors im Auge komplizierter. „Im Innenohr grenzen die Sinneszellen direkt an Flüssigkeit, so dass wir unser Gentaxi dort injizieren konnten“, sagt Dr. Juliane Schott, die bereits im iHEAR-Team an der Gentherapie mitgearbeitet hat. „Im Auge dagegen gibt es viele zusammengeschaltete Sinneszellen und dazwischenliegende Barrieren, die wir irgendwie überwinden müssen.“ Ob der Vektor seine Ladung tatsächlich am gewünschten Ziel abliefert, müssen die Forschenden also noch überprüfen.
Bahnbrechende Therapie
„Wir können unser Gentaxi aber bald in GMP-Produktion herstellen, also nach den staatlich überwachten strengen Qualitätsstandards und -richtlinien für Arzneimittel und Medizinprodukte“, betont Professor Dr. Michael Morgan, ebenfalls aus dem iHEAR-Team. Die Anwendung im Auge wird nun im Mausmodell untersucht. Ist die präklinische Entwicklung erfolgreich abgeschlossen, muss das Medizinprodukt noch von den zuständigen Behörden abgenommen werden. Danach kann die Gentherapie in klinischen Studien auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit am Menschen getestet werden. Am Ende, so ist sich das Forschungsteam sicher, steht eine erfolgreiche LV-Gentherapie zur Behandlung von USH1B. „Das EuroVision-Produkt wird die erste und einzige Einzelvektor-Behandlung sein, die den Sehverlust aufgrund von MYO7A-Mutationen behandelt“, betont Professor Schambach. „Diese bahnbrechende Therapie hat großes Potenzial, die Lebensqualität der Betroffenen erheblich zu verbessern und wird die Grundlage für die Behandlung anderer monogener Augenerkrankungen bilden, bei denen große Gene übertragen werden müssen und für die ein dringender medizinischer Bedarf besteht.“
Das Projekt EuroVision ist eine Kooperation des MHH-Instituts für Experimentelle Hämatologie mit dem Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie und dem Institut für Zoologie der Johannes Gutenberg Universität Mainz, der Klinik für Augenheilkunde der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Institut für Tierphysiologie und Genetik der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik.
Die ERC-Förderlinie Proof of Concept (PoC) des Europäischen Forschungsrates unterstützt wissenschaftliche Vorhaben für 18 Monate mit einer Fördersumme in Höhe von 150.000 Euro. Sie richtet sich ausschließlich an Forschende, die bereits einen ERC-Grant innehaben und ein Forschungsergebnis aus ihrem laufenden oder bereits abgeschlossenen Projekt über die Forschung hinaus weiter entwickeln möchten. Der PoC ist jedoch keine Fortführung der Forschung des eigentlichen ERC-Projekts. Vielmehr dient er dazu, dessen kommerzielle oder gesellschaftliche Potenziale zu erkunden – ein erster Schritt zum Transfer der Forschungsergebnisse in Richtung klinischer Praxis.
Text: Kirsten Pötzke