Forschung

Mit KI gegen Infektionen bei Leberzirrhose

Forschungsverbund INDIVO sucht Wege zur genaueren Diagnose und gezielter Behandlung von Bakterienbefall bei Menschen mit Leberzirrhose.

Symbolische Darstellung bunter, stäbchenförmiger Bakterien vor einer Zirrhose geschädigten braunroten Leber.

Die geschädigte Leber erhöht das Risiko für bakterielle Infektionen. Copyright: Karin Kaiser/MHH/KI-generiert

Leberzirrhose ist die vierthäufigste Todesursache in Europa, Tendenz steigend. Dabei wird das Lebergewebe zerstört und durch funktionsloses Bindegewebe ersetzt. Durch den Umbau verhärtet die Leber, vernarbt und kann ihre Aufgabe als zentrales Stoffwechsel- und Entgiftungsorgan nicht mehr wahrnehmen. Ein ganz besonderes Problem sind Infektionen. Betroffene mit Leberzirrhose leiden an einer komplexen Störung des Immunsystems, die sogenannte Zirrhose-assoziierte Immundysfunktion (cirrhosis-associated immune dysfunction, CAID). Aufgrund von CAID haben sie ein etwa siebenfach höheres Risiko, an bakteriellen Infektionen zu erkranken und zu versterben. Zwar helfen Antibiotika, doch ihr Einsatz wird zunehmend schwierig, da immer mehr multiresistente Keime im Umlauf sind. Für eine gezielte Antibiotika-Gabe ist es wichtig zu wissen, welches Bakterium konkret für die jeweilige Infektion verantwortlich ist. Doch die herkömmlichen Methoden für einen Erregernachweis sind zeitaufwändig und häufig nicht sensitiv genug, weshalb nicht selten Breitband-Antibiotika verwendet werden, welche die Ausbreitung von Resistenzen weiter fördern.

Ein Forschungsteam um Professor Dr. Benjamin Maasoumy, Leitender Oberarzt an der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), sucht nun mit KI-basierten Analysemethoden neue Wege für eine genauere Diagnose und eine personalisierte Behandlung, die exakt auf das individuelle Infektionsrisiko des Patienten und den Schweregrad der Infektion zugeschnitten ist. Das Projekt „INDIVO“ wird im Rahmen des Förderprogramms zum Ausbau der personalisierten Medizin vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung über fünf Jahre mit rund drei Millionen Euro unterstützt.

Darmbakterien häufigste Infektionsquelle

Die genauen Mechanismen der CAID sind zwar noch nicht vollständig geklärt. Verschiedene Faktoren spielen jedoch offenbar eine Schlüsselrolle, etwa Bluthochdruck in der Pfortader – der Vene, die sauerstoffarmes und nährstoffreiches Blut in die Leber transportiert. Auch Entzündungsreaktionen aufgrund der verstärkten Infektionen und eine ungünstige Veränderung der Darmflora sorgen dafür, dass Bakterien aus dem Darmmikrobiom durch die Darmwand in das Blut einwandern können und den Krankheitsverlauf verschlechtern. „Die Darmbakterien gelten als häufigste Infektionsquelle und verursachen vor allem Harnwegsinfekte und Bauchfellentzündungen“, sagt Professor Maasoumy, der auch im Exzellenzcluster RESIST zu Leberinfektionen forscht. „Vor allem letztere sind problematisch, können weitere Komplikationen wie Verwirrtheit und Koma befördern und sind verantwortlich, dass bis zu 30 Prozent der Patientinnen und Patienten innerhalb des ersten Monats sterben. Eine rechtzeitige Diagnose und die sofortige Einleitung einer angemessenen Antibiotikabehandlung sind daher von entscheidender Bedeutung". Und die Uhr tickt, denn mit jeder Stunde Verzögerung bei der Einleitung einer wirksamen Antibiotikabehandlung steigt die Sterblichkeit um drei Prozent.

Stellschrauben feiner einstellen

„Das Dilemma ist, dass Breitbandantibiotika häufig eingesetzt werden, weil wir bei Patientinnen und Patienten mit schweren Verläufen keine zweite Chance haben, die Infektion in den Griff zu bekommen“, stellt der Leberforscher fest. „Gleichzeitig werden so etwa 80 Prozent der Betroffenen überbehandelt.“ Professor Maasoumy und sein Team wollen nun die Stellschrauben für Diagnose und Behandlung feiner einstellen. Sie wollen das Immunsystem der Leberzirrhose-Betroffenen und ihren allgemeinen Gesundheitszustand individuell und die Infektionserreger identifizieren und direkt bekämpfen. Außerdem wollen sie feststellen, welche Patientinnen und Patienten für eine Prophylaxe-Behandlung etwa mit Fluorchinolonen in Frage kommen. Dieses Antibiotikum senkt nachweislich das Risiko für eine Bauchfellentzündung und kann das Gesamtüberleben verbessern. „Die ursprünglich vorgeschlagenen Kriterien für die Auswahl von Patienten für eine Primärprophylaxe sind jedoch nach wie vor umstritten und scheinen nicht ausreichend zielgerecht zu sein“, stellt der Hepatologe fest.

Prognose der Leberzirrhose verbessern

Die Forschenden wollen nun das Darmmikrobiom der Betroffenen bestimmen, das Immunsystem in den Blick nehmen, Blutuntersuchungen vornehmen und alle Daten mit Hilfe KI-basierter Methoden analysieren und auswerten. „Ziel ist es, die Infektionen in den Griff zu bekommen, damit die Leber Ruhe hat, sich wieder zu erholen“, betont Professor Maasoumy. Denn die Leber ist das einzige Organ in unserem Körper, das sich selbst regenerieren und nachwachsen kann. Und das funktioniert sogar, wenn das Gewebe nachhaltig geschädigt ist. „Früher galt, dass eine Leberzirrhose das irreversible Endstadium chronischer Lebererkrankungen ist“, stellt der Hepatologe fest. „Heute wissen wir, dass eine wirksame Therapie der Grunderkrankung die Prognose einer Leberzirrhose deutlich verbessert.“ Dieser Ansatz, so ist Professor Maasoumy sicher, hilft selbst schwerstkranken Patientinnen und Patienten, die ein neues Organ benötigen. „Wenn wir ihnen zusätzliche Infektionen und Entzündungen ersparen können, vermeiden wir auch unerwünschte Komplikationen und vor allem das Versterben auf der Warteliste für eine Transplantation.“

Das Projekt INDIVO (Individualisierte Prävention und Behandlung von Infektionen bei Patienten mit Leberzirrhose) unter der Leitung der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie steht in Zusammenhang mit dem MHH-Forschungsschwerpunkt „Infektion und Immunität“. Es erfolgt in Kooperation mit dem MHH-Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene sowie mit dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Technischen Universität Braunschweig.

Text: Kirsten Pötzke