Aus der MHH

Nach der Nierentransplantation: 1.000 Patienten beteiligen sich an innovativem Projekt

Positive Zwischenbilanz des Nachsorgeprogramms „NTX 360°“ von Medizinischer Hochschule Hannover, Klinikum Hann. Münden und Uniklinikum Erlangen

Professor Dr. Lars Pape mit den Fall-Managerinnen Michaela Frömel, Petra Anders und Marit Wenzel (von links). Quelle „MHH/Kaiser.

Professor Dr. Lars Pape mit den Fall-Managerinnen Michaela Frömel, Petra Anders und Marit Wenzel (von links). Copyright: Karin Kaiser/MHH

Für Menschen, deren Nieren dauerhaft versagen, ist eine Nierentransplantation die beste Therapieform. Kann nach oft langer Wartezeit endlich ein Spenderorgan übertragen werden, ist für die Betroffenen ein wichtiger Schritt getan. Doch damit die Transplantation langfristig erfolgreich ist, muss eine umfassende Nachsorge erfolgen. Hier setzt das Innovationsprojekt „NTx360°“ an. Es hat zum Ziel, das transplantierte Organ möglichst lange zu erhalten, die Lebensqualität zu steigern und die medizinische Versorgung zu optimieren. Dadurch sollen Krankenhausaufenthalte vermieden und die Nachsorge wirtschaftlicher werden. 2017 begann das Nachsorgeprogramm an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) als sogenannte neue Versorgungsform. Nach drei Jahren blicken die Projektleiter auf eine positive Entwicklung und freuen sich über die große Zustimmung bei den Patientinnen und Patienten. Mittlerweile beteiligen sich mehr als 1.000 Patientinnen und Patienten – Kinder und Erwachsene – an dem wissenschaftlich begleiteten Projekt.

Digitalisierte Rundumbetreuung für Nieren-Transplantierte

Etwa acht Prozent der Nierentransplantierten verlieren das neue Organ in den ersten drei Jahren nach der Verpflanzung wieder. In den Folgejahren nimmt das Transplantatversagen weiter stetig zu. „Schon geringe Abweichungen in der Medikamenteneinnahme erhöhen das Risiko für eine Abstoßung deutlich“, erklärt Professor Dr. Lars Pape von der MHH-Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen. „Ein weiteres Risiko für die Gesundheit stellen Folgeerkrankungen dar, die bei Transplantierten häufig auftreten, dazu gehören Herz- und Kreislauferkrankungen“, ergänzt Professor Dr. Mario Schiffer, Direktor der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Universitätsklinikums Erlangen. Professor Pape und Professor Schiffer starteten das Innovationsfondsprojekt „NTx360°“ gemeinsam in Hannover in Kooperation mit dem Nephrologischen Zentrum Hann. Münden. Nach seinem Wechsel an das Uniklinikum Erlangen etablierte Professor Schiffer das Projekt auch dort. Mit „NTx360°“ bauten die Nephrologen ein neuartiges Versorgungsnetzwerk auf, das den Patientinnen und Patienten eine digitalisierte Rundumbetreuung mit individuell angepasster Therapie anbietet.

Transplantationszentrum und niedergelassene Ärzte arbeiten eng zusammen

Da die optimale Versorgung Transplantierter sehr komplex ist, arbeiten bei dem Projekt alle Beteiligten eng zusammen: Neben den Transplantationszentren sind das beispielsweise die niedergelassenen Nephrologinnen und Nephrologen in Niedersachsen, die die Patienten wohnortnah betreuen, sowie das MHH-Institut für Sportmedizin und die Sportkardiologie der Medizinischen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie des Uniklinikums Erlangen, die für alle Teilnehmenden eine persönliche Trainingstherapie für eine bessere körperliche Fitness entwickeln. Mit dabei sind auch die MHH-Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie sowie die Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen, die die Patienten nach der Transplantation mitbegleiten und bei Bedarf eine psychosoziale Unterstützung anbieten. Weitere wichtige Beteiligte sind die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) und die niedersächsischen Krankenkassen, allen voran die AOK Niedersachsen bei der allein rund 250 teilnehmende Patientinnen und Patienten versichert sind. Außer den AOKen verschiedener Regionen sind unter anderem die TK, die DAK, die Barmer EK und die meisten BKKen mit im Boot.
 
Kernstück ist ein Telemedizin-Netzwerk

Kernstück des Programms ist ein telemedizinisches Netzwerk mit gemeinsamer elektronischer Patientenakte, auf die alle beteiligten Ärzte in den Transplantationszentren sowie in den Praxen vor Ort Zugriff haben. Auch die Patienten selbst haben Einblick in ihre Daten. „Die Telemedizin führt zu einer besseren Kommunikation und Koordination der Versorgung. Die Patienten müssen dadurch nicht mehr so häufig in die Transplantationszentren fahren“, sagt Professor Pape. Professor Schiffer sieht einen weiteren Vorteil in den Televisiten. „Risiken für die Gesundheit der Patienten können früher erkannt und entsprechende therapeutische Gegenmaßnahmen ergriffen werden.“ Trotz der Komplexität des Projekts haben die Transplantierten immer feste Ansprechpartnerinnen: Die sogenannten Fall-Managerinnen koordinieren die gesamte Nachsorge, vereinbaren Termine bei Ärzten und Therapeuten, beantworten Fragen zu Rezepten und zur Medikamenteneinnahme und haben stets ein offenes Ohr für die Belange der Betroffenen.  

1.000 Teilnehmer in Projekt eingeschlossen

Die beiden Projektleiter freuen sich darüber, dass „NTx360°“ bei den Nierentransplantierten so gut ankommt. Rund 90 Prozent der angesprochenen Patientinnen und Patienten haben sich zum Mitmachen entschlossen. Die meisten der mehr als 1.000 Teilnehmenden wurden in der MHH transplantiert. Zu ihnen gehört auch Ralf A. aus Bielefeld. Der 64-Jährige bekam 2015 ein neues Organ. Nach zwei Jahren Dialyse erhielt er durch eine Lebendspende von seiner Ehefrau eine Niere. „Mir gefällt das Projekt, weil es den ganzen Menschen einbezieht und mehrere Fachrichtungen in die Nachsorge eingebunden sind“, erklärt Ralf A. Ihm haben beispielsweise die Empfehlungen der Experten des Instituts für Sportmedizin sehr geholfen.

„Um mich fit zu halten, mache ich mein individuelles Kardiotraining an Geräten“, berichtet er. Das Angebot der MHH-Sportmediziner wird insgesamt gut wahrgenommen. Bisher gab es rund 900 Assessments und mehr als 1.300 persönliche Trainingssprechstunden. Die psychosomatische Betreuung ist ebenfalls gefragt: Die MHH-Klinik verzeichnet bisher rund 2.170 Assessments und Re-Assessments sowie 360 Termine zur psychosozialen Unterstützung. „Die Angebote der Psychosomatik werden auch von Familien mit nierentransplantierten Kindern genutzt. Davon profitieren alle Familienmitglieder“, erklärt Professor Pape.
 
Innovationsfonds fördert NTx 360° mit sechs Millionen Euro

Das fach- und sektorenübergreifende Projekt „NTx360°“ wird für den Zeitraum 2017 bis 2021 mit rund sechs Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Es ist das erste Versorgungsprogramm, in dem Kinder und Erwachsene gemeinsam betreut werden. Das gesamte Projekt wird vom IGES-Institut aus Berlin unabhängig evaluiert und nach Abschluss des Projekts ausgewertet. „Alle Anteile, die nachweislich die Gesundheit der Patienten verbessern, sollen bundesweit in die Regelversorgung übernommen werden“, sagt Professor Schiffer.

Die MHH ist das größte Transplantationszentrum Deutschlands. Dort werden jährlich bis zu 170 Spendernieren verpflanzt. Im Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg werden jedes Jahr rund 70 Nieren transplantiert. Mehr zum Projekt unter: www.ntx360grad.de.

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Lars Pape, Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen der MHH, Telefon (0511) 532-3283, pape.lars@mh-hannover.de und bei Professor Dr. Mario Schiffer, Medizinische Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Universitätsklinikums Erlangen, Telefon (09131) 85-39002, med4@uk-erlangen.de.

Video

Nierentransplantation – und dann? Das MHH-Projekt NTx360° verbessert Lebensqualität

Moritz ist nierentransplantiert und nimmt am Innovationsprojekt NTx360° der MHH teil. Im Video erzählt er, wie das Projekt ihm hilft.