Forschung

Schärfere Genscheren für die biotechnologische Werkzeugkiste

MHH-Wissenschaftler verbessern drei Varianten des CRISPR-Cas9-Systems für eine gezieltere und wirksamere biomedizinische Anwendung.

Zwei Männer im weißen Kittel stehen neben einem Bildschirm und halten Probenröhrchen in der Hand.

Haben drei Genscheren für die Forschung geschärft: Molekularbiologe Dr. Reto Eggenschwiler (links) und der wissenschaftliche Mitarbeiter Mika Opitz. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Erblich bedingte Erkrankungen dauerhaft zu heilen, ist das Ziel von Gentherapien. Eine der derzeit vielversprechendsten Technologien dafür ist das CRISPR/Cas-System, umgangssprachlich auch als Genschere bekannt. Diese kann gezielt DNA schneiden und verändern, um fehlerhafte Gene zu reparieren, zu entfernen oder Gene einzufügen. Es gibt verschiedene Varianten der Genschere, die jeweils ganz bestimmte Stellen im Genom ansteuern. Aber nicht alle sind gleichermaßen effizient, schneiden also zuverlässig genau an der Stelle der DNA, wo sie es sollen. Ein Forschungsteam um Professor Dr. Tobias Cantz und Dr. Reto Eggenschwiler aus der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat nun einen Weg gefunden, drei Genscheren-Varianten zu schärfen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Damit wird die biotechnologische Werkzeugkiste um weitere funktionstüchtige Arbeitsgeräte ergänzt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Nucleic Acids Research“ veröffentlicht worden.

Ursprung: bakterielle Virenabwehr

Ursprünglich handelt es sich beim CRISPR-System um eine biologische Abwehr, mit der sich Bakterien gegen eine Infektion mit Phagen wehren. Das sind Viren, die ausschließlich Bakterien befallen. Die fremde DNA wird dabei von der Genschere zerstört und der Phage kann sich nicht weiter vermehren. Verschiedene Bakterien besitzen verschiedene Arten und Unterarten dieser CRISPR-Systeme. Eingesetzt wird überwiegend das CRISPR/Cas9-System aus dem Bakterium Streptococcus pyogenes, das beim Menschen unter anderem Scharlach verursachen kann. Das System nutzt eine sogenannte Lotsen-RNA, die wie ein biologisches Navigationsgerät das Cas9 Enzym an eine bestimmte Stelle der DNA führt, wo dieses einen Doppelstrangbruch verursacht. An dieser Stelle können dann gezielte genetische Veränderungen vorgenommen werden. Die Reparaturmechanismen der Zelle fügen den Doppelstrang später wieder zusammen.

Damit Cas9 aktiv werden kann, benötigt es ein spezifisches DNA-Erkennungsmotiv, eine sogenannte PAM-Sequenz (Protospacer-Adjacent Motif). Das ist ein kurzer Nukleotid-Abschnitt auf der DNA. Nukleotide sind die chemischen Grundbausteine unserer DNA und setzen sich aus einem Zucker, einer Phosphatgruppe und einer Nukleinbase zusammen. Es gibt vier verschiedene DNA-Nukleinbasen: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Die Nukleotide speichern und übertragen unsere genetische Information.

Cas9-Varianten schneiden an anderen DNA-Stellen

Der PAM-Nukleotid-Abschnitt auf der DNA wird vom Cas9-Enzym benötigt, um die direkt benachbarte Stelle im Genom aufzuschneiden. Diese Sequenz legt also die genauen Bereiche fest, die von der Genschere bearbeitet werden können. Die gängige PAM-Sequenz des CRISPR/Cas9-Systems lautet NGGN. Hierbei steht „N“ für ein variables Nukleotid – also eines mit irgendeiner der vier Basen – auf das zwei Nukleotide mit Guanin-Basen folgen müssen. Danach schließt wieder ein variables Nukleotid an. Es gibt aber auch Cas9-Varianten, die andere PAM-Sequenzen ansteuern oder sogar weitgehend auf die PAM-Erkennung verzichten können. Die damit ausgestatteten Genscheren können das Erbgut also an anderen Stellen schneiden als die ursprüngliche Version. Der Nachteil: Sie schneidet weniger effizient als das Standard-CRISPR/Cas9-System. Das Forschungsteam um Dr. Eggenschwiler hat nun die Wechselwirkung mit der DNA von drei dieser Cas9-Varianten im Detail untersucht und diese dann gezielt gentechnisch verändert. „Wir haben zunächst ein Cas9-Enzym namens iSpyMac verbessert, mit dessen Hilfe sich gezielt NAAN-PAMs ansteuern lassen“, sagt Dr. Eggenschwiler. „Das ist wichtig, weil ‚AA‘ das häufigste Dinukleotid, also die häufigste Basen-Doppelfolge im menschlichen Genom ist und somit viele neue Möglichkeiten zur Genveränderung eröffnet.“

Mehr Effizienz durch verbesserte Wechselwirkung

Weiteres Potenzial für neue Schnittstellen bietet zudem die Verbesserung der Enzyme Cas9-SpRY und Cas9-SpG. Cas9-SpRY ist ein sogenanntes PAM-loses Enzym, welches im Gegensatz zum Standard-Cas9 keine strenge PAM-Sequenz mehr braucht. Diese Weiterentwicklung ermöglicht es, DNA an beliebigen Stellen zu schneiden und zu verändern. Ähnliches gilt für Cas9-SpG. Diese Variante steuert das NGNN-PAM an, benötigt also nur ein einziges Guanin-Nukleotid als Erkennungsstelle auf der DNA. Mit beiden Varianten lassen sich Stellen im Genom ansteuern, an denen keine „traditionellen“ NGGN-PAMs zur Verfügung stehen, was die Flexibilität der CRISPR/Cas9-Technologie erheblich erweitert. „Mit Hilfe von KI-generierten 3D-Modellen und Hochleistungs-Computersimulationen konnten wir die entsprechenden wichtigen strukturellen Bereiche in den Cas9-Varianten identifizieren“, erklärt der Molekularbiologe. „Daraufhin haben wir die Enzyme dann gezielt so verändert, dass ihre Wechselwirkung mit der DNA an manchen Zielstellen bis um das Vierfache gesteigert werden konnte.“ Die so verbesserten Varianten erlauben nun wirksamere genetische Veränderungen über das gesamte Genom hinweg.

Ziel: vererbte Genmutation behandeln

Mit Hilfe dieser neuen Enzyme wollen die Forschenden nun eine vererbte Genmutation reparieren, die den sogenannten Alpha-1-Antitrypsinmangel verursacht. Bei dieser Erkrankung fehlt dem Körper ein Schutzeiweiß, wodurch Lunge und Leber geschädigt werden. „Wir wollen es schaffen, diese eine fehlerhafte Base gegen die korrekte Variante auszutauschen“, sagt Mika Opitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Mitautor der Studie. Gelingt dies, wäre das ein weiterer Schritt in Richtung einer dauerhaften Heilung der schweren Erkrankung, die im Endstadium eine Lungen- oder Lebertransplantation erforderlich macht.

Text: Kirsten Pötzke