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Dr. Friederike Klein engagiert sich bei „Gegen das Vergessen“

„Wir müssen unseren moralischen Kompass einhalten“, sagt Dr. Friederike Klein. Ein Interview über ethische Standards in den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zeiten.

Porträtbild von Friederike Klein

Dr. Friederike Klein: „Die Gesundheit und das Wohlergehen jedes einzelnen Patienten sollten unter allen Umständen unser oberstes Anliegen bleiben.“ Copyright: Karin Kaiser/MHH

„Gegen das Vergessen“ heißt eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Sie erinnert an das Schicksal jüdischer Ärztinnen und Ärzte im Dritten Reich und macht sich für demokratische Werte, Menschlichkeit und eine offene Wissenschaftskultur stark. In der Initiative engagiert sich auch Dr. Friederike Klein von der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie. Im Gespräch erklärt sie, warum.

Bei „Gegen das Vergessen“ geht es um die NS-Vergangenheit und die Lehren, die wir für unser heutiges Handeln daraus ziehen sollten. Warum interessiert Sie das Thema?

Ich komme aus einer sehr geschichtsinteressierten Familie. Außerdem hat mich eine persönliche Entdeckung sehr bewegt. Bei der Haushaltsauflösung meiner Großeltern fand ich einen Arztbrief über meinen Urgroßvater aus dem Jahr 1938. Wie ich herausfand, war der untersuchende Arzt, ein überzeugter Nationalsozialist mit engen Verbindungen zu führenden NS-Persönlichkeiten, wie Reinhard Heydrich. Parallel lud die DGVS zur Mitarbeit an der Initiative „Gegen das Vergessen“ ein und ich musste nicht lange überlegen.

Warum engagieren Sie sich gerade als Ärztin?

Weil es meiner persönlichen Überzeugung entspricht. Anhand der NS-Geschichte wird deutlich, wie Rechtsstaat und Medizinethik erodieren können. Nicht mehr das Individuum, sondern die Volksgemeinschaft – ein „Volkskörper“ – standen im Zentrum. Es wird deutlich, wie politische Hetze, Diskriminierungen und Fake-News die Medizinethik in kürzester Zeit verändern konnten mit Zwangssterilisationen, Menschenversuchen und systematischen Morden als Folge. Biographien von Ärztinnen und Ärzten verdeutlichen, wie sich ein moralischer Kompass verändern kann und dass dieses jedem – und somit auch uns – passieren kann. Dafür zu sensibilisieren ist ein wichtiger Baustein zum Schutz unserer Ethik. Mit dem Genfer Gelöbnis haben wir ein Maß, mit dem wir unseren moralischen Kompass immer wieder korrigieren können.

Sehen Sie auch in Ihrem Berufsalltag kritische Entwicklungen?

Im Gesundheitswesen haben wir einen hohen Ressourcenmangel auf verschiedenen Ebenen. Das übt Druck auf alle Mitarbeitenden aus und birgt das Risiko einer Verschiebung der ethischen Standards insbesondere bei den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die Gesundheit und das Wohlergehen jedes einzelnen Patienten sollten unter allen Umständen unser oberstes Anliegen bleiben. Das Individuum ins Zentrum von Überlegungen zu stellen und nicht ein Denken in Kollektiven ist eine wichtige präventive Maßnahme, nicht nur in der Medizin.

Interview: Tina Götting

Das Projekt

Unter den Millionen verfolgter Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit befanden sich auch viele Ärztinnen und Ärzte.1932 zählte das Mitgliederverzeichnis der Fachgesellschaft DGVS 425 Personen. Aus diesem Verzeichnis wurden bereits 1933 158 jüdische Namen ausgestrichen. „Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus der Fachgesellschaft ist ein bedrückendes Kapitel unserer Geschichte“, sagt Professor Dr. Heiner Wedemeyer, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie und Präsident der DGVS. Mit Aktionen und Diskussionsrunden will das Projekt eine nachhaltige Erinnerungskultur fördern und für die Gefahren von Ausgrenzung und Diskriminierung sensibilisieren. Eine dieser Veranstaltungen fand im Juni dieses Jahres in der MHH statt.