Aus der MHH

Opfer von Gewalt: Netzwerk ProBeweis sichert Spuren

Das von der MHH gegründete Netzwerk aus Kliniken bietet Betroffenen vertrauliche Hilfe: Bisher sind 1.370 Fälle dokumentiert.

Mehrere Frauen sitzen und stehen in einem Raum zusammen. Hinter ihnen steht ein Plakataufsteller mit der Aufschrift Beweise verfallen.

Das ProBeweis-Team der MHH: Menexia Giannoulaki, Lisa Berking, Sarah Stockhausen, Professorin Debertin und Dr. med. univ. Naomi Kono (von links). Copyright: Karin Kaiser/MHH

Stand: 01. Dezember 2021

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Doch nur selten kommt es zur Anzeige bei der Polizei. Das Netzwerk ProBeweis kann den Opfern trotzdem helfen: Geschulte Ärztinnen und Ärzte sichern und dokumentieren die Spuren der Gewalttat und erstellen gerichtsverwertbare Befunde –unabhängig von einer Anzeige. Auf dieser Grundlage kann auch noch Jahre nach der Tat ein prozessrelevantes Gutachten erstellt werden. ProBeweis wurde 2012 vom MHH-Institut für Rechtsmedizin ins Leben gerufen. Inzwischen umspannt das Netzwerk ganz Niedersachsen. Seit 2012 wurden bisher insgesamt rund 1.370 Fälle dokumentiert. ProBeweis versteht sich nicht nur als Anlaufstelle für betroffene Frauen, sondern auch für Männer, denn auch diese erleben häusliche und/oder sexuelle Gewalt.

Oft handelt es sich bei den Tätern und Täterinnen um aktuelle oder frühere Lebenspartner oder -partnerinnen. Häusliche Gewalt nimmt seit Jahren zu. 2020 registrierte die Polizei in Niedersachsen rund 21.500 solcher Taten. Das sind rund sieben Prozent mehr als 2019. „Viele Betroffene erstatten direkt nach der Tat keine Anzeige, weil sie Scham empfinden, bedroht werden oder Angst haben. Auch befürchten sie, das belastende Gerichtsverfahren eventuell nicht durchstehen zu können“, erklärt Professorin Dr. Anette Debertin vom Institut für Rechtsmedizin und Leiterin des Netzwerks ProBeweis. Für ein mögliches späteres Gerichtsverfahren ist es jedoch wichtig, sofort nach der Tat fachgerecht Spuren wie Würgemale, Hämatome oder DNA-Material zu sichern und medizinische Befunde zu erheben. In den Untersuchungsstellen von ProBeweis können die Opfer Beweise zeitnah, kostenlos, gerichtsfest und vertraulich sichern lassen.

Das Netzwerk wächst

Angefangen hat das Netzwerk vor fast zehn Jahren mit drei Anlaufstellen. Mittlerweile gibt es 39 Anlaufstellen in 35 niedersächsischen Städten. Die Einrichtungen sind rund um die Uhr besetzt, damit die Betroffenen jederzeit Hilfe bekommen können. „Besonders für die Sicherung von DNA-Spuren ist zeitnahes Handeln wichtig“, sagt Rechtsmedizinerin Sarah Stockhausen vom ProBeweis-Team. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres suchten landesweit rund 170 Betroffene eine Anlaufstelle von ProBeweis auf.

Das Projekt ist absolut diskret. „Erst wenn eine Anzeige erstattet wird und wir von unserer Schweigepflicht entbunden werden, werden der Polizei Befunde ausgehändigt und bei Beauftragung ein prozessrelevantes Gutachten erstellt“, erläutert Stockhausen. Rund 20 Prozent der Betroffenen entschließen sich ­– manchmal erst Monate oder Jahre nach der Tat und der Untersuchung – zur Polizei zu gehen. Aber auch wenn die Frauen keine Anzeige erstatten, hilft ihnen die Spurensicherung. „Für die meisten ist es einfach wichtig, etwas gegen ihre Hilfslosigkeit zu tun und die Tat dokumentiert und die Beweise gesichert zu wissen“, sagt Professorin Debertin. Darüber hinaus finden viele über das Netzwerk ProBeweis den Weg zu anderen unterstützenden Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen.

Pro Beweis beruht auf der Kooperation mit Partnerkliniken. Das Team des Instituts für Rechtsmedizin schult regelmäßig die Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken, stellt ihnen professionelle Untersuchungskits zur Verfügung und arbeitet die Ergebnisse der Untersuchungen in Hannover fachgerecht auf. Die Asservate, beispielsweise Blutproben und Abstriche, werden mindestens drei Jahre aufbewahrt. Die schriftliche Dokumentation wird 30 Jahre archiviert.

Das Niedersächsische Sozialministerium fördert das Projekt mit 310.000 Euro pro Jahr. Um das Angebot von ProBeweis noch bekannter zu machen, nutzt das Team um Professorin Debertin neben klassischen Kanälen und Facebook seit diesem Sommer auch Instagram. Auf diesem Weg sollen besonders jüngere Betroffene angesprochen und eine noch stärkere Vernetzung und Aufklärung erreicht werden.

Weitere Informationen und Kontakt:

Web: www.probeweis.de, Instagram: https://www.instagram.com/netzwerkprobeweis

E-Mail: probeweis@mh-hannover.de, Telefon: (0511) 532-4599.

Autorin: Tina Götting