"Das Kämpfen und Durchhalten lohnt sich"

Lara, seit 2019 im Alter von 11 Jahren lungentransplantiert, 2020 retransplantiert

Lara im Patientenbett mit einem großen Luftballon in der Hand. Copyright: privat
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Ende Oktober 2019 hatte meine bis dahin vermeintlich gesunde Tochter Lara (zu dem Zeitpunkt 11 Jahre alt) einen Termin bei einem Hildesheimer Kinderkardiologen. Zu diesem Termin kam es, weil Lara seit Anfang 2019 zunehmend "fauler" wurde. Es hört sich erstmal böse an, doch meine sonst so fitte Tochter wollte kaum noch vor die Tür und konnte kaum noch Strecken laufen. Ständig musste sie sich übergeben. Mitte Oktober war sie zum Kindergeburtstag in Hannover auf dem Oktoberfest. Nach ein paar Schritten brauchte sie immer fünf Minuten Pause. Das veranlasste mich dazu, es nicht noch einmal beim Hausarzt zu versuchen, sondern direkt beim Kardiologen.

Nachdem ein Herzecho gemacht wurde, bekamen wir die Botschaft, dass Lara direkt in die MHH muss. 

 

„Innerhalb von wenigen Tagen stand unser Leben plötzlich Kopf…“

Der Rettungswagen kam und brachte Lara zusammen mit mir in die MHH. Dort angekommen ging es wieder direkt zum Herzecho.
In den darauf folgenden Tagen ging alles sehr schnell und mir fehlt teilweise die Erinnerung. Es stellte sich heraus, dass Lara Lungenhochdruck hat.
Die medikamentöse Behandlung schlug leider nicht mehr an und so kam es, dass Lara bereits Anfang November 2019 für eine Lungentransplantation gelistet wurde. Nur wenige Stunden später kam "der" entscheidende Anruf. Innerhalb von wenigen Tagen stand unser Leben plötzlich Kopf, es blieb überhaupt nicht die Zeit, irgendetwas zu realisieren.
Am Tag der Transplantation ging es früh morgens direkt von der Intensivstation in den OP.
Für die meisten Außenstehenden grenzt dieser Ablauf an ein Wunder. Lara selbst sowie der Rest der Familie waren zu diesem Zeitpunkt einfach nur unglaublich überfordert und trotzdem unendlich dankbar. 


Lara im Rollstuhl. Sie streichelt einen Hund, der neben ihr sitzt. Copyright: privat
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„Viele Mitarbeiter und auch andere Patienten gehören seitdem für Lara und mich einfach zur Familie.“

Noch während Lara im OP war, wurde mir klar, dass wir mit ihr nach dem Klinikaufenthalt nicht mehr nach Hause können. Seit einiger Zeit hatten wir in unserer Wohnung mit Feuchtigkeit und Schimmel zu kämpfen. 
So begann direkt am Tag von Laras Transplantation noch unsere Wohnungssuche.
Laras Zustand besserte sich nach der Transplantation trotz kleiner Rückschläge relativ schnell. Eine neue Wohnung war jedoch nicht in Sicht. So kam es, dass Lara zusammen mit mir drei Wochen nach OP in das Haus Schutzengel entlassen wurden, wo wir liebevoll aufgenommen wurden und weiterhin nach einer Wohnung suchten.
Im Haus Schutzengel und auch während Laras Zeit in der Klinik lernten wir viele liebe Menschen kennen. Wir nennen es immer unsere "Bonusfamilie", die es gratis zur lebenslänglichen Anbindung an die MHH dazu gab. Viele Mitarbeiter und auch andere Patienten gehören seitdem für Lara und mich einfach zur Familie. 
Gerade jetzt aktuell war Lara mit mir von den letzten 13 Monaten 10 Monate in der MHH und im Haus Schutzengel.
Nach der Entlassung erwies sich die Wohnungssuche auch weiterhin als schwierig. Selbst zwei Zeitungsartikel in der HAZ verhalfen zwar zur großen Anteilnahme, leider jedoch nicht zu einer Wohnung. So kam es, dass ich Weihnachten mit Lara im Haus Schutzengel verbrachte, der Rest der Familie kam zu Besuch. An Silvester hatte Lara noch eine Kontrollbronchoskopie. Der Rest der Familie zog für zwei Tage mit ins Haus Schutzengel ein, denn am 2. Januar 2020 ging es für die gesamte Familie zur Familienreha.
Diese Reha war super als Familienzeit, denn seit der Einlieferung in die Klinik hatten sich alle kaum gesehen. Während der Reha ging die Wohnungssuche weiter, leider erfolglos. 
So kam es, dass die Familie am 30. Januar 2020 wieder getrennt werden musste. Lara ging mit mir zurück ins Haus Schutzengel, während Papa mit den Geschwistern wieder nach Hause ging.

 

„Lara fing wieder an, Fahrrad zu fahren und das auch nicht gerade wenig.“

So langsam kam Corona immer mehr in Deutschland an, was die Wohnungssuche erschwerte. Da Papa wieder arbeiten ging und die Geschwister in die Schule und den Kindergarten, isolierten wir uns weiter im Haus Schutzengel.
Nach ein paar nervenaufreibenden Monaten, in denen wir immer noch kaum verarbeiten konnten, was passiert ist, war es am 1.Mai 2020 endlich soweit.
Lara und ich konnten vom Haus Schutzengel in unsere neue Wohnung ziehen, zusammen mit dem Rest der Familie. Eine Wohnung an einem neuen Wohnort mit komplett neuer Einrichtung (wegen Schimmelbefall) und plötzlich wieder als gesamte Familie. Es war und ist auch heute noch komisch. Ich persönlich habe immer wieder das Gefühl, in ein fremdes neues Leben gedrückt worden zu sein. Das wichtigste ist jedoch immer, dass es Lara gut geht. Bis zum Einzug benötigte sie bei Strecken außerhalb der Wohnung immer den Rollstuhl, der blieb plötzlich stehen. Sie fing wieder an, Fahrrad zu fahren und das auch nicht gerade wenig. Trotz Corona und sämtlichen Vorkehrungen hatten wir immer die Möglichkeit viel Zeit draußen zu verbringen. Laras erste richtige große Fahrradtour nach der Transplantation führte zur MHH.
Eigentlich könnte man meinen, alles verlief perfekt. 


Lara mit ihrer Mutter, beide tragen einen Mundschutz. Copyright: privat
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„Ab da habe ich nur Bruchstücke der Erinnerung, denn plötzlich war alles ein Déjà-vu…“

Im Juli fing Lara an, etwas schlapp auszusehen. Ein Rhinovirus wurde entdeckt, für Lara nichts Ungewöhnliches. Doch kurz darauf wurde ihre Lungenfunktion schlechter. Die Kontrolltermine wurden engmaschiger. Es konnte keine genaue Ursache entdeckt werden. Anfang August 2020 ist die gesamte Familie noch eine 10 km Tour Fahrrad gefahren, was für Lara trotz allem kein Problem war. Seitdem wir zuhause waren ist sie in diesen 3 Monaten 900km Fahrrad gefahren. 
Nach dieser Tour bekam sie am Abend plötzlich Fieber und die Sättigung sackte ab. Wir sollten direkt in die Klinik zur Blutkontrolle kommen. Mitten in der Nacht sammelte uns also ein Rettungswagen zum Krankentransport zur Klinik ein. 
Als wir in der Klinik ankamen, ist bereits der nächste Tag angebrochen. Ab da habe ich nur Bruchstücke der Erinnerung, denn plötzlich war alles ein Déjà-vu. Das Röntgen war auffällig, Lara sollte direkt morgens in die Bronchoskopie und danach auf die Station. Sie landete jedoch auf der Intensivstation, da es nach der Broncho direkt zum Pneumothorax gekommen ist. Innerhalb der nächsten Tage erlitt sie insgesamt viermal einen Pneumothorax. Die Behandlungen schlugen wieder nicht an. Es ging wieder alles sehr schnell. Lara musste dringend für eine Re-Transplantation gelistet werden. Das Déjà-vu nahm weiter seinen Lauf, wieder am darauffolgenden Freitag wurde Lara gelistet. Eigentlich war allen klar, dass es nicht noch einmal das Wunder geben wird, dass alles so schnell geht. Ich habe auch noch gesagt, dass ich bitte nicht wieder direkt den Anruf haben möchte. Es kam, wie es kommen musste: das Wunder trat ein. Diesmal war ich total gefasst und absolut dankbar. Es kam wieder in etwa um die gleiche Uhrzeit der Anruf, dass eine Lunge für Lara verfügbar wäre. Wieder verbrachten wir die ganze Nacht an ihrem Bett und warteten, dass es in den OP ging. Die Re-Transplantation an sich lief ganz gut, nur gab es diesmal danach einige Komplikationen, die durchaus auch psychisch bedingt waren. Lange war nicht klar, ob wir Weihnachten überhaupt zuhause verbringen werden und wir planten Weihnachten mit der "Klinikfamilie".

 

„Das Kämpfen und durchhalten lohnt sich, man darf seine Tiefs haben und sollte dennoch immer wieder optimistisch denken.“

Mitte November kam die Wende und auch wenn Lara noch einige Baustellen hatte, ging es ihr plötzlich so gut das wir Ende November 2020 nach 113 Tagen Klinik nach Hause entlassen wurden. Die Tränen flossen reichlich, war doch in dem letzten Jahr hauptsächlich die Klinik unser Zuhause und plötzlich ging es wieder in dieses ungewohnte neue Zuhause, in dem uns alles fremd ist. Nun bin ich mit Lara seit 3½ Wochen wieder zuhause und wenn man bedenkt, wie oft sie während des Klinikaufenthalts dem Tod ins Auge geschaut hat und auch phasenweise selbst aufgegeben hat, umso schöner ist es, sie wieder voller Freude und Spaß zu sehen. Das Kämpfen und durchhalten lohnt sich, man darf seine Tiefs haben und sollte dennoch immer wieder optimistisch denken. Niemand hat mehr geglaubt, Lara noch einmal in ihrem heutigen Zustand zu sehen. Dabei hat sie gerade erst angefangen, sich wieder ins Leben zu kämpfen.

 

Eingereicht von Nicole Z., Mutter von Lara