English version

Hintergrund

Die Forschungsgruppe Molekulare Psychiatrie befasst sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Neuroepigenetik.

Epigenetische Mechanismen dienen der Regulation der genetischen Aktivität und sind teilweise vererblich. Durch DNA-Methylierung und posttranslationale Modifikation von Histonproteinen kann die Struktur der DNA so verändert werden (Chromatin Remodeling), dass einzelne Gene dauerhaft ausgeschaltet sind. Kurze RNA-Spezies und posttranskriptionale RNA-Veränderungen (RNA editing; Alternatives Spleißen) sind weitere Substrate epigenetischer Prozesse.

Für die Psychiatrie konnten in den letzten Jahren die besondere Bedeutung von epigenetischen Prozessen sowohl in der Krankheitsentstehung, der Aufrechterhaltung und Heilung psychischer Erkrankungen gezeigt werden, ebenso aber auch für die biologische Kodierung von Krankheitsempfänglichkeit (Vulnerabilität) oder –unempfänglichkeit (Resilienz).  Besonders interessant sind epigenetische Prozesse auch für die Transmission von psychischen Erkrankungen über mehrere Generationen.

Zur Erforschung dieser Phänomene setzen wir im Labor für Molekulare Neurowissenschaften neben dem gesamten Spektrum molekularbiologischer Methoden auch moderne zellbiologische und biochemische Verfahren ein. Die Untersuchung epigenetischer Prozesse von der Zellkultur über passende Tiermodelle bis hin zu klinischen Studienpopulationen entspricht dabei unserem Leitbild der translationalen Forschung.

Innerhalb der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie bestehen enge Kooperationen mit den Arbeitsgruppen

Übergeordnete Ziele

Die Abbildung einer Präzision in der Psychiatrie: gestern, heute, morgen. Von der Epigenotypisierung, über die klinische Anwendung zur genauen Diagnostik und Therapie.
Precision Psychiatry /Copyright: Prof. Dr. med. H. Frieling, MHH

Eines der Haupthindernisse in der heutigen psychiatrischen Forschung ist die offensichtliche Diskrepanz zwischen den diagnostischen Kategorien, die hauptsächlich am Ende des 19. Jahrhunderts geprägt wurden, und den modernen neurobiologischen Konzepten normaler und gestörter Gehirnfunktion, was zu einer Verzögerung bei der Entwicklung neuer und wirksamerer Therapien führt. 

Einen Ansatz, diese Kluft zu überwinden, bietet die „personalisierte“ oder „präzise“ Psychiatrie („precision psychiatry“), die auf der Basis eines bio-psychosozialen Krankheitsmodells homogenere Subgruppen von psychisch Erkrankten identifizieren und diese spezifischen Therapien zuführen wird. Ein Hauptforschungsziel unserer Forschungsgruppe ist in diesem Zusammenhang die Verwendung epigenetischer Marker zur Erkennung und Kategorisierung biologisch unterschiedlicher Untergruppen psychiatrischer Störungen, wobei das Ansprechen auf spezifische Therapien als primärer Phänotyp verwendet wird. Sobald ein potenzieller Marker entdeckt wird, widmen wir uns nicht nur der rigorosen Replikation in klinischen Kohorten, sondern versuchen auch zu verstehen, wie eine spezifische Regulation eines bestimmten Gens zu einer (Nicht-) Reaktion auf bestimmte Therapien führt. Um diese Fragen zu beantworten, verwenden wir neben Tier- und Zellkulturmodellen von Patienten stammende Proben einschließlich induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSC) sowie post mortem Hirngewebe und nutzen ein breites Spektrum modernster molekularer Untersuchungsmethoden.

Unsere molekularen Befunde ergänzen bildgebende, psychopathologische, testpsychologische und weitere klinische Daten der Patient*innen, denn selbst die besten molekularen Analysen bei psychiatrischen Störungen müssen von der Klinik informiert werden und sollten anschließend wieder in die Klinik übertragen werden können. Um diesen Fluss zu ermöglichen, werden große Kohorten von Patienten mit ausgezeichneter und multimodaler Phänotypisierung benötigt. Eine Möglichkeit, diese Kohorten zu rekrutieren, ist die Etablierung eines broad-consent-Systems, das die Verwendung aller routinemäßig erhobenen klinischen Daten erlaubt. Durch die Einrichtung eines Data-Warehouse-Systems können alle Daten aus den klinischen Informationssystemen für spezifische Forschungsfragen verwendet werden.

Wir haben dieses System durch große Patientenregister für spezielle Indikationen (zum Beispiel ein Register für die Spezialambulanz, die Patienten mit Prader-Willi-Syndrom und psychiatrischen Störungen behandelt) oder Therapien (Niedersächsisches EKT-Outcomeregister - NEKTOR) bzw. Nebenwirkungen (AMSP; Pharmakovigilanz in der Gerontopsychiatrie) ergänzt und um Biobanking von Blut und anderen Proben nach strengen prä-analytischen Protokollen erweitert. Um eine hohe Qualität der phänotypischen Daten zu erreichen, haben wir standardisierte Diagnose- und Behandlungsalgorithmen implementiert. Diese Algorithmen können leicht angepasst werden, um neue Erkenntnisse aufzunehmen (zum Beispiel potenzielle neue Biomarker, die die Behandlung leiten). Gleichzeitig eröffnen große Patient*innenkollektive die Möglichkeit, neue Befunde aus der Grundlagenforschung wie z.B. strukturelle Variationen des Genoms bei Menschen, die an Psychosen leiden, nachzuvollziehen und durch eine multimodale reverse Phänotypisierung besser zu verstehen und klinisch nutzbar zu machen. 

Große Datenmengen aus den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung (-omics, Bildgebung) oder der klinischen Forschung enthalten eine Fülle von Informationen. Zusätzlich führen Neuentwicklungen in der Sensortechnik (z.B. durch Wearables) oder App-basierter Untersuchungen sowie die Möglichkeit, sämtliche klinische Daten aus der Routineversorgung zu verwenden, zu einer noch umfangreicheren Menge an Daten, die mit klassischen Auswertungsmethoden der Inferenzstatistik nicht mehr gehandhabt werden können. Um auf diese Informationen zugreifen zu können, sind neue Methoden zur Datenanalyse wie die Mustererkennung basierend auf künstlicher Intelligenz / neuronalen Netzwerken notwendig.

In den letzten Jahren haben wir Erfahrung in der Verwendung dieser „Big-Data“ -Methoden für die integrative Analyse molekularer und klinischer Daten gesammelt. Die Verwendung von selbstlernenden Algorithmen hilft nicht nur, neue und unerwartete Beziehungen zwischen molekularen und klinischen Daten zu entdecken, sondern fördert auch die Entwicklung von Diagnose- und Behandlungsalgorithmen auf iterative und evolutionäre Weise (Plan-Do-Check-Act (PDCA) –Zyklus zur Integration von Patientenversorgung und Forschungszielen) und ebnet so den Weg für eine präzisere Psychiatrie. 


Wissenschaftliche Kollaborationen

Neben den bereits oben genannten abteilungsinternen Kooperationen, arbeiten wir im Rahmen von nationalen und internationalen Forschungsverbünden (z.B. bzgl. Esstörungen [BMBF-EDNET], Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Psychopharmakowirkung [BMBF-NeSSy] und Traumatisierung) mit zahlreichen weiteren Forschungsgruppen zusammen:

Forschungsgruppenmitglieder

Leitung der Forschungsgruppe

Prof. Dr. med. Helge Frieling

Stellvertretender Klinikleiter

Telefon: +49 511 532 7275 

Fax: +49 511 532 7276

frieling.helge@mh-hannover.de