AG Martin

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Mit der Perspektive einer möglicherweise auch individualisierten zell-und gentherapeutischen Behandlung von Herz- und Lungenerkrankungen, aber auch zur Erforschung von Krankheitsmechanismen, zur Entwicklung neuer pharmakologischer Wirkstoffe sowie zur Entwicklung von Alternativmethoden zu Tierversuchen werden in der AG Martin folgende Forschungsschwerpunkte adressiert:

 

  1. Reprogrammierung somatischer Zellen zu klinisch nutzbaren induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen)
  2. Herstellung von patienten-bzw. krankheitsspezifischen iPS-Zelllinien
  3. Gezielte genetische Modifikation von iPS- Zellen und daraus differenzierter Derivate
  4. Optimierte Steuerung von vaskulären und respiratorischen Differenzierungsvorgängen von iPS-Zellen zur Entwicklung von organotypischen in vitro Krankheitsmodellen
  5. Untersuchung zu Sicherheitsaspekten von Zelltherapien
  6. Entwicklung von Methoden zur in vivo Korrektur krankheitsspezifischer Mutationen über das „Gene Editing“

1. Reprogrammierung somatischer Zellen zu klinisch nutzbaren iPS-Zellen

In der AG Martin stellt die Reprogrammierung somatischer Zellen unterschiedlicher Spezies inzwischen eine Standardmethode dar, die dennoch stetig weiter optimiert wird.

Typischerweise erfolgt die Reprogrammierung differenzierter somatischer Zellen zu iPS-Zellen über Einführung einer definierten Kombination verschiedener zellulärer Faktoren (Reprogrammierungsfaktoren), meist mit Hilfe so genannter viraler Vektoren. Die Einführung von Reprogrammierungsfaktoren in differenzierte Zellen bewirkt eine Reihe genetischer Ereignisse, mit Änderung des DNA-Methylierungs- und des Chromatinstatus, was zur Modifikation der Genexpression und schließlich zur Rückführung/Umwandlung der ausdifferenzierten, somatischen Zelle in einen pluripotenten Zustand führt.

Im Forschungsschwerpunkt Reprogrammierung ist ein Ziel der AG Martin die Entwicklung klinisch anwendbarer Protokolle zur effizienten Generierung von iPS-Zellen. Um die Sicherheit zukünftiger potenzieller klinischer Anwendung von iPS-basierten regenerativen Zelltherapien zu gewährleisten verbessern wir kontinuierlich unsere Protokolle zur Herstellung von GMP-konformen iPS-Zell-Produkten weiter.

Als alternative, transgenfreie Methode zur Reprogrammierung, um die potenzielle Aktivierung von Protoonkogenen und die Bildung von Teratomen (Keimzelltumoren) zu Verhindern finden inzwischen z.B. synthetische mRNAs oder nichtintegrierenden RNA-Vektoren basierend auf Sendaiviren Verwendung. Als weiteren Sicherheitsaspekt für die therapeutische Anwendbarkeit von iPS-Zellen und deren Derivate etablieren wir in der AG Martin ein eigenes verbessertes Sendai-Virus-Vektor-System zur Übertragung der Reprogrammierungsfaktoren und zur gezielten genetischen Modifikation von therapeutisch einsetzbaren Zellen (siehe auch "6.Entwicklung von Methoden zur in vivo Korrektur krankheitsspezifischer Mutationen über das „Gene Editing“).

2. Herstellung von patienten-bzw. krankheitsspezifischen iPS-Zelllinien

Tabelle mit verschiedenen Patienten-bzw. krankheitsspezifischen iPS-Zelllinien der AG Martin

In der AG Martin wurden bisher iPS-Zellen aus Zellen der Maus, des Affen, des Menschen, aber auch verschiedener Primatenspezies (Javaneraffe, Gorilla, Bonobo) hergestellt. Verschiedene aus diesen Zellen hergestellte Zelltypen, wie Blutzellen, Endothelzellen und Epithelzellen u.a. wurden bzw. werden in der eigenen Arbeitsgruppe und von Kooperationspartnern zur Bearbeitung ganz unterschiedlicher Fragestellungen wie z.B. der Untersuchung der Hirnentwicklung verwendet.

Mittelerweile konnten in der Arbeitsgruppe eine Vielzahl von humanen patienten- bzw. krankheitsspezifischen iPS-Zellinien etabliert werden. Diese Sammlung von iPS-Zellinien wird ständig erweitert und steht für verschiedenste Forschungsprojekte und insbesondere für Untersuchungen der Pathomechanismen von verschiedenen Erkrankungen zur Verfügung.


3. Gezielte genetische Modifikation von iPS- Zellen und daraus differenzierter Derivate

Viele kardiovaskuläre Erkrankungen z.B. des Herzens oder der Atemwege basieren auf genetischen Defekten bzw. Mutationen. Prinzipiell sind regenerative Therapien denkbar, bei denen patientenspezifische Zellen gewonnen und diese zu iPS-Zellen reprogrammiert werden, gefolgt von der genetischen Korrektur der Erkrankung. Genetische Modifikationen von Stammzellen erfolgten bisher meist unter Verwendung von zufällig integrierenden viralen Vektoren oder Plasmiden. Dies beherbergt jedoch das Risiko der Aktivierung benachbarter Allele einschließlich der von Protoonkogenen über insertionelle Mutagenese. In Hinblick auf zukünftige klinische Anwendungen von patientenspezifischen iPS-Zellen müssen daher alternative Genmodifikationsmethoden, die mit geringeren Risiken verbunden sind, zum Einsatz kommen.

Genetische Modifikation pluripotenter Stammzellen, z.B. für patientenspezifische Therapien.

Neuartige Technologien zur gezielten Veränderung des Genoms basieren auf der Verwendung von artifiziellen Enzymen, so genannten „Designer-Nukleasen“. Hierzu zählen Zink-Finger Nukleasen (ZFNs), „Transcription activator-like effector“-Nukleasen (TALENs) oder das CRISPR/Cas9 System. Diese Enzyme können zur Korrektur genetischer Defekte so gestaltet werden, dass sie in einem spezifischen genomischen Lokus einen DNA-Doppel/Einzelstrangbruch einfügen, was unter Zuhilfenahme zelleigener Reparaturmechanismen die gezielte Veränderung des Genoms erlaubt. Im Vergleich zum konventionellen „Gene targeting“ und der Verwendung integrierender Vektoren, ist die ZFN-, TALEN- bzw. CRISPR/Cas9-basierte homologe Rekombination damit nicht nur deutlich sicherer, sondern auch sehr viel effizienter. Zusammen mit der bahnbrechenden Entdeckung von iPS-Zellen könnte es damit möglich sein, für viele insbesondere genetisch bedingte Erkrankungen patientenspezifische Zelltherapien zu entwickeln.

Des Weiteren können mit Hilfe der ZFN- bzw. TALEN-Methode auch Genkonstrukte in die Zellen eingebracht werden, welche therapeutische Gene enthalten, um damit z.B. „suprafunktionelle“ Zellen herzustellen. Reporter- oder Selektionsgene unter Kontrolle geeigneter zelltypspezifischer Promotoren können ebenfalls exprimiert werden. Diese können nicht nur für die Optimierung der Kultur und Differenzierung pluripotenter Stammzellen, sondern auch für die Aufreinigung von aus Stammzellen differenzierten Zellen, z.B. Kardiomyozyten und Lungenepithel, von großem Nutzen sein.

Transgene Reporterzelllinen können darüber hinaus für das Screening von neuen Wirkstoffen zur Behandlung von diversen Erkrankungen genutzt werden. Für Reporterzelllinien, die in einem solchen Hochdurchsatzscreening Verwendung finden sollen, sind Designernukleasen ein wertvolles Werkzeug. So können vor allem transgene Reporterkonstrukte, welche ein automatisiertes Screening erleichtern, in krankheitsspezifische iPS-Zellen eingebracht werden.

4. Optimierte Steuerung von vaskulären und respiratorischen Differenzierungsvorgängen von iPS-Zellen zur Entwicklung von organotypischen in vitro Krankheitsmodellen

Darstellung von unterschiedlichen überwiegend endodermalen Zellpopulationen an Tag 12 der respiratorischen Differenzierung von humanen iPS-Zellen basierend auf Einzelzell-RNA Sequenzierung.

 

Eine möglichst effiziente in vitro Differenzierung ist für die Verwendung iPS-abgeleiteter Zellen der Lunge und der Blutgefäße in organotypischen Krankheitsmodellen und Screeningsystemen, genauso wie für Zell-basierte regenerative Therapien von enormer Bedeutung. Auch wenn bereits auf umfangreiche Informationen aus der Entwicklungsbiologie zugegriffen werden kann, ist die Steuerung der Differenzierungsvorgänge in komplexen Organen wie der Lunge bisher noch nicht ausreichend verstanden.

 

Für eine gezielte Differenzierung über sequentielle Inhibierung bzw. Aktivierung beteiligter Signalwege ist ein tiefergehendes Verständnis dieser Vorgänge jedoch zwingend notwendig.

 

Hier unterstützen auch moderne Hochdurchsatzsequenzierverfahren, insbesondere die Einzelzell-RNA-Sequenzierung, mit der aktivierte Signalwege und fehlgeleitete Subpopulationen identifiziert werden können.


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In weiteren Studien untersuchen wir, wieso verschiedene aus iPS-Zellen als „juveniler“ Zellquelle hergestellte Zelltypen unerwarteterweise nur ein vergleichsweise geringes Vermehrungspotential aufweisen. So untersuchen wir aktuell das Phänomen der frühzeitigen Seneszenz von aus iPS-Zellen differenzierten Endothelzellen. Unser Ziel ist dabei, die Ursachen von vorzeitiger Seneszenz in iPS-derivaten zu identifizieren, um darauf basierend Differenzierungsprotokolle zu verbessern und letztendlich Zellkulturen mit hohem Vermehrungspotential für den Einsatz in Zellersatztherapien produzieren zu können.

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Aus iPS-Zellen produzierte vaskuläre und respiratorische Zelltypen werden in der AG Martin sowohl für die Krankheitsmodellierung in in vitro Systemen als auch für das Screening nach neuen Wirkstoffen zur Therapie verschiedener Lungenerkrankungen verwendet.

So beschäftigen wir uns in der AG Martin u.a. mit der Entwicklung von Therapien zur Behandlung von Pulmonaler Hypertension, Primären Ziliopathien.

Auch die Mukoviszidose (Cystische Fibrose; CF) ist im Fokus unserer Forschung. Verursacht wird die Erkrankung durch Mutationen im so genannten „Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator” (CFTR) Gen.

Da für verschiedene CF-Mutationen immer noch keine effektive Behandlung für CF verfügbar ist, arbeiten wir u.a. an der Entwicklung neuer Therapiekonzepte,  bei denen alternative Ionenkanäle beeinflusst werden.


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Aus iPS-Zellen unter optimierten Differenzierungsprotokollen produzierte vaskuläre und respiratorische Zelltypen sollen langfristig auch für innovative Zellersatztherapien verwendet werden. Während patientenspezifische iPS-Zellen bereits hergestellt, charakterisiert und mit Hilfe der Designernukleasen genetisch modifiziert bzw. korrigiert werden konnten, und auch die anschließende Differenzierung der pluripotenten Zellen in (Vorläufer-) Zellen der Atemwege große Fortschritte gemacht hat, befinden sich effektive Applikationsformen zum Ersatz der körpereigenen mutierten Stammzellen der Atemwege allerdings noch am Anfang der Entwicklung.

5. Untersuchung zu Sicherheitsaspekten von Zelltherapien

 

Auch im Bereich der Sicherheitsforschung zu Zelltherapien wird in der AG Martin wichtige Entwicklungsarbeit geleistet.

Unterdessen ist bekannt, dass iPS-Zellen eine nicht unerhebliche Zahl von kleinen Mutationen auf Nukleotidebene sowie z.T. auch größere genetischen Abnormalitäten tragen

Wir konnten kürzlich zeigen, dass die Reprogrammierung somatischer Zellen zwar keine neuen Punkmutationen oder kleinere Deletionen generiert, es jedoch während Reprogrammierung und Zellexpansion zur Anreicherung von potentiell problematischen Mutationen im Kerngenom (Kosanke et al.,2021, MolTher) und im mitochondriellen Genom (Kosanke et al., 2021, Stem Cell Reports) kommen kann.

Darstellung der Studien zur Analyse von Mutationen im Kerngenom und in den Mitochondrien während der Reprogrammierung und anschließender Zellexpansion. (Erstellt mit BioRender.com)
Grafische Übersicht der Studie zur gezielten biallelen Integration eines induzierbaren Caspase 9 Suizid Gens in induzierte pluripotente Stammzellen für sicherere Therapien. (Erstellt mit BioRender.com)

Um weitere Sicherheitsaspekte bei der Verwendung von iPS Zell-basierten Therapien zu adressieren, untersuchen wir die Anwendung von sogenannten Suizid Genen als induzierbare Sicherheitsschalter nach Einbringen in die Zellen über genetisches Engineering.

 

 

 

 

Mit Hilfe dieser Methode konnten wir zeigen, dass zwar schon die Integration einer Kopie des induzierbaren Caspase 9 Suicide Gens (iCASP9) in den AAVS1 Safe Harbour Genort die Apoptose der Zellen in vitro und in vivo effizient auslöst, jedoch erst die biallele Integration von zwei Kopien eines Suizid Gens die Entstehung sehr seltener Apoptose-resistenter Zellklone verhindert. Erst auf diese Weise kann das therapeutische Sicherheitslevel durch gezieltes Eliminieren von iPS Zellen und deren Derivate nach der Implantation erhöht werden (Wunderlich et al., 2022, Mol Ther Methods Clin Dev)


Referenzen:

  • Kosanke M, Osetek K, Haase A, Wiehlmann L, Davenport C, Schwarzer A, Adams F, Kleppa MJ, Schambach A, Merkert S, Wunderlich S, Menke S, Dorda M, Martin U. Reprogramming enriches for somatic cell clones with small-scale mutations in cancer-associated genes. Mol Ther. 2021 Aug 4;29(8):2535-2553. doi: 10.1016/j.ymthe.2021.04.007. Epub 2021 Apr 6. PMID: 33831558; PMCID: PMC8353200.
  • Kosanke M, Davenport C, Szepes M, Wiehlmann L, Kohrn Tim, Dorda M, Gruber J, Menge K, Sievert M, Melchert A, Gruh I, Göhring G, Martin U. iPSC culture expansion selects against putatively actionable mutations in the mitochondrial genome. Stem Cell Reports. 2021 Oct 16:2488-2502. doi: 10.1016/j.stemcr.2021.08.016
  • Wunderlich S, Haase A, Merkert S, Jahn K, Deest M, Frieling H, Glage S, Korte W, Martens A, Kirschning A, Zeug A, Ponimaskin E, Göhring G, Ackermann M, Lachmann N, Moritz T, Zweigerdt R, Martin U. Targeted biallelic integration of an inducible Caspase 9 suicide gene in iPSCs for safer therapies. Mol Ther Methods Clin Dev. 2022 May 31;26:84-94. doi: 10.1016/j.omtm.2022.05.011. PMID: 35795779; PMCID: PMC9234009.

6. Entwicklung von Methoden zur in vivo Korrektur krankheitsspezifischer Mutationen über das „Gene Editing“

 

Ein großer Anteil von humanen genetischen Krankheiten wird durch Punktmutationen im Genom ausgelöst. Ein Ansatz zur gezielten Gentherapie durch Korrektur von krankheitsspezifischen Mutationen ist die CRISPR/Cas9-vermittelte Gen-Editierung anhand von präzisem und effizientem prime editing. Um die spezifische Behandlung von Patienten zu ermöglichen, ist die Entwicklung von innovativen Methoden zur effizienten in vivo Genkorrektur von besonderer Bedeutung. Die Entwicklung von sicheren und ausreichend effizienten Systemen zur Übertragung des CRISPR-Korrekturapparates in Patientenzellen ist essentiell für den Erfolg der Gen-Editierung in vivo. Deshalb beschäftigen wir uns in der AG Martin mit der Entwicklung neuer Methoden des in vivo Gentransfers, insbesondere der Etablierung eines neuen hocheffizienten und sicheren nicht-humanpathogenen, nicht-integrierenden Sendaivirus-basierten Vektorssystems zur Übertragung des CRISPR/Cas9-Gen-Editierung-Systems in vivo.