Gesundheit

Ärzteteam bringt junges Mädchen zurück in ein normales Leben

Lange war die Ursache für Annies Husten unbekannt. Bis Ärzte der MHH den Auslöser in einem atypischen Verlauf der Schlüsselbeinarterie fanden. Es folgte ein hochkomplexer Eingriff.

Dr. Saad Rustum, Dr. Patrick Zardo, Patientin Annie, Dr. Thomas Jack, Dr. Alexander Horke und Dr. Murat Avsar (von links nach rechts).

Dr. Saad Rustum, Dr. Patrick Zardo, Patientin Annie, Dr. Thomas Jack, Dr. Alexander Horke und Dr. Murat Avsar (von links nach rechts). Copyright: Anna Junge/medjunge.de

Stand: 07. Oktober 2020

Schon seit November 2019 quälte Annie der heftige und dauerhafte Husten. Zuletzt waren die Hustenanfälle so schlimm und häufig, dass ihr der Besuch der Schule unmöglich wurde und sie sich nicht mehr mit ihren Freunden treffen konnte. Das zuvor sehr sportliche Mädchen konnte schließlich nur noch wenige Schritte ohne Pause und mit großer Anstrengung machen. Es litt unter starken Schmerzen in der Brusthöhle und konnte durch den Husten nachts nicht mehr durchschlafen. Annies Lebensqualität war erheblich eingeschränkt und ihre schulische Perspektive verschlechterte sich. Die Ärzte befürchteten, dass der chronische Husten zu einer langfristigen Schädigung der zarten Flimmerhärchen in den Bronchien führen könnte. Eine monatelange Odyssee, die Annie von einem Arzt zum nächsten führte, ohne dass die Ursache für ihren Husten herausgefunden wurde, endete schließlich bei Privatdozent Dr. Nicolaus Schwerk in der Abteilung für Pädiatrische Pneumonologie, Allergologie und Neonatologie der MHH. Dieser hatte den Verdacht, dass eine Gefäßanomalie im Brustkorb den lästigen Husten hervorrufen könnte. Umgehend suchte er den Kontakt zu den Kollegen der Abteilung für Kinderkardiologie und Kinderintensivmedizin und der Abteilung für Chirurgie angeborener Herzfehler, die schnell noch weitere Experten aus der MHH hinzuzogen.

Schlüsselbeinarterie atypisch entwickelt

Normalerweise wird der rechte Arm über die rechte Schlüsselbeinarterie (Arteria subclavia) versorgt, die gemeinsamen mit der rechten kopfversorgenden Arterie (Arteria carotis) als erster Ast aus der Hauptschlagader (Aorta) entspringt. In seltenen Fällen kommt es aber während der Entwicklung im Mutterleib zu einem atypischen Abgang dieser rechten Schlüsselbeinartiere, die dann Arteria lusoria genannt wird. Die Arteria lusoria ist damit ein abnormales Gefäß, das direkt aus der absteigenden Hauptschlagader entspringt und hinter oder manchmal vor der Speiseröhre verläuft. Durch den meistens großen Durchmesser dieser Arterie kommt es manchmal zu Schluckstörungen oder – wie im Fall der Patientin Annie – zu Irritationen der Luftröhre mit dauerhaftem Husten.

Nach ausgiebigen Untersuchungen und unter Berücksichtigung des hohen Leidensdrucks der Patientin entschloss sich ein Team der MHH, den atypischen Verlauf zu korrigieren. Hierzu sollte die Arteria lusoria abgetrennt und der rechte Arm über eine Gefäßprothese aus Gore-Tex versorgt werden, die an die aufsteigende Aorta gesetzt und von dort nach rechts geführt wurde.

Viele Experten nötig

Die Besonderheit dieser Operation besteht darin, dass für den Eingriff bei der jungen Patientin sowohl ein Kinderherzchirurg, aber auch ein Thoraxchirurg sowie ein Gefäßchirurg erforderlich sind. In der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantatinos- und Gefäßchirurgie (HTTG) der MHH fand sich schließlich ein eingespieltes Team aus Spezialisten dieser Fachrichtungen. „Die Operation von Kindern und Jugendlichen ist sowieso schon immer eine riesengroße Verantwortung“, sagt Dr. Murat Avsar, Oberarzt für Kinderherzchirurgie im Team von Dr. Alexander Horke. „Und bei speziellen Eingriffen, die außerhalb der üblichen Routine ein individualisiertes Vorgehen erfordern, muss man sich als Chirurg ganz besonders auf die Expertise und die Fähigkeiten seiner Partner verlassen können.“ Dr. Patrick Zardo, Bereichsleiter für Thoraxchirurgie in der HTTG-Klink, ergänzt: „In so einer Situation kann man nicht erst Hierarchien klären oder sich Kommunikationsfehler leisten. Damit die Operation gut wird, müssen sich alle am OP-Tisch blind verstehen.“ Immerhin ist die abnormale Arterie nur über eine Eröffnung des Brustkorbs erreichbar, was einer der schwierigsten Zugangswege in der Chirurgie ist. Dr. Saad Rustum ist Bereichsleiter für Gefäßchirurgie in der MHH und seit Jahren erfahren in der Rekonstruktion auch von komplizierten Gefäßerkrankungen. Die Implantation von Gefäßprothesen aus Dacron gehört zu seinem klinischen Alltag. „Das Einbringen eines Gefäßinterponats am offenen Brustkorb einer fünfzehnjährigen Patientin ist allerdings eine extreme Verantwortung. Ich bin dankbar, dass ich mich in dieser Situation darauf verlassen konnte, dass meine Kollegen ihren Teil der Operation zu jederzeit unter Kontrolle hatten.“

Unmittelbar nach der Operation spielte Annies Betreuung auf der kinderchirurgischen Intensivstation eine wesentliche Rolle für ihre Genesung. Hier mussten sich die Operateure eng mit den Intensivmedizinern abstimmen. Dr. Thomas Jack, der als Oberarzt auf der pädiatrischen Intensivstation der MHH arbeitet, freut sich über die seit Jahren partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Chirurgen: „Dieser Fall ist schon etwas ganz Besonderes und wäre ohne die vielseitigen Kompetenzen sicher nicht so gut zu versorgen gewesen.“

Annie hat den Eingriff sehr gut überstanden, und konnte schon zwei Tage nach der Operation auf der Intensivstation in die Kamera lachen. Und ihr Husten ist bereits komplett verschwunden.

Video

Patientin Annie sitzt auf dem Krankenbett und lächelt in die Kamera.

Rätselhafter Husten: MHH-Ärzteteam beenden Leiden einer jungen Patientin

In drei verschiedenen Kliniken wurde Annie untersucht, bis Dr. Schwerk, MHH-Experte für pädiatrische Pneumologie, die richtige Diagnose stellte. Es handelte sich um eine Gefäßfehlbildung in der Lunge. Nach der langwierigen Diagnosestellung folgte eine komplizierte aber eine erfolgreiche Operation.