Forschung

MHH-Studie untersucht Therapiesicherheit bei später HIV-Diagnose

Klinische Studie in sieben europäischen Ländern vergleicht erstmals Wirksamkeit von zwei HIV-Medikamenten bei Menschen mit fortgeschrittener Erkrankung.

Zwei Medikamentenbehälter stehen auf einem Tisch in einem Stationsgang der MHH.

Wirksam und sicher, auch bei später Diagnose: MHH-Studie überprüft zwei antiretrovirale Medikamente an Menschen mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Rund 40 Millionen Menschen weltweit leben mit einer HIV-Infektion. In Deutschland sind es etwa 100.000 Betroffene. Wird die Infektion nicht behandelt, kann sich der Körper irgendwann nicht mehr gegen Krankheitserreger oder Tumorzellen wehren. Dann kommt es zum erworbenen Abwehrschwäche-Syndrom, das mehrere teilweise lebensbedrohliche Krankheiten nach sich zieht. Inzwischen lässt sich eine HIV-Infektion gut behandeln. Setzt die Therapie früh genug ein, haben Betroffene eine ganz normale Lebenserwartung. Wie Medikamente bei Menschen mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung wirken, ist dagegen bislang nicht wissenschaftlich belegt – bis jetzt. In einer umfassenden klinischen Studie unter der Leitung von Professor Dr. Georg Behrens, Oberarzt an der Klinik für Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), haben sich Forschende aus 56 medizinischen Zentren in Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien und Spanien genau dieser Patientengruppe angenommen und untersucht, welche Medikamente bei den schwer Erkrankten am besten wirken. Die Ergebnisse sind am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet Infection Diseases“ veröffentlicht worden.

„Late presenter“ haben weniger Immunzellen

Das HI-Virus gehört zur Gruppe der Retroviren, die ihr Erbgut mit einem eigenen Enzym in DNA umschreiben und diese in das Genom der Wirtszelle einbauen. HI-Viren befallen vor allem CD4-Zellen des Immunsystems. Diese auch als T-Helferzellen bezeichneten weißen Blutkörperchen aktivieren Abwehrzellen und steuern so das Immunsystem bei Infektionen. Anhand der Zahl der CD4-Zellen lässt sich daher feststellen, wie stark HIV das Immunsystem bereits geschädigt hat. Bei gesunden Menschen liegt die Zahl zwischen 500 und 1500 T-Helferzellen pro Mikroliter Blut. Bei Menschen mit später HIV-Diagnose – auch als „Late Presenter“ bezeichnet – liegt sie dagegen bei weniger als 350 CD4-Zellen pro Mikroliter. Das geschwächte Immunsystem führt für die Betroffenen zu einer fortschreitenden Erkrankung mit schlechter Langzeitprognose und erhöht das Risiko, an AIDS zu versterben.

Virusvermehrung verhindert

Die klinische Studie LAPTOP (Late Presenter Treatment Optimization) beschäftigt sich mit ebendieser Gruppe, die immerhin etwa 50 Prozent der HIV-Infizierten ausmacht. Die Forschenden haben zwei antiretrovirale Medikamente der Erstlinientherapie verglichen – also zwei Anti-HIV-Mittel, die als beste Erstbehandlung dieser Erkrankung zumindest bei HIV-Infizierten im Anfangsstadium anerkannt und nachgewiesen sind. „Wir wollten die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie eines Integrasehemmers und der Therapie mit einem verstärkten Proteasehemmer jetzt erstmals auch bei den spät diagnostizierten HIV-Infizierten wissenschaftlich untersuchen“, sagt Professor Behrens, Immunologe und Leiter der Arbeitsgruppe „Adaptive Immunität bei Infektionen und Autoimmunerkrankungen“. Integrasehemmer blockieren das Enzym, mit dem das Virus sein Erbgut in die DNA der menschlichen Wirtszelle einschleust. Proteasehemmer verhindern die Bildung wichtiger Virusproteine und unterbrechen so den Lebenszyklus des Krankheitserregers. Beide Medikamente sorgen also auf unterschiedliche Weise dafür, dass sich das Virus nicht vermehren und weitere Zellen infizieren kann.

Integrasehemmer als Erstlinientherapie empfohlen

Rund 450 neu diagnostizierte Erwachsene mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung wurden in die Studie eingeschlossen. Die Teilnehmenden erhielten bei der Behandlung nach dem Zufallsprinzip entweder den Integrasehemmer oder den Proteasehemmer. „Unsere Untersuchung ist die erste große randomisierte kontrollierte Studie, welche die antivirale Wirksamkeit, die Erholung des angegriffenen Immunsystems oder die möglichen Nebenwirkungen von antiretroviralen Erstlinientherapien speziell bei Menschen mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung vergleicht“, betont Professor Behrens. Der Integrasehemmer war in der Studie nicht unterlegen, unterdrückte die Virusvermehrung sogar wirksamer und hatte dabei weniger Nebenwirkungen. „Damit ist erstmals wissenschaftlich erwiesen, dass das Medikament selbst bei fortgeschrittener HIV-Erkrankung mit CD4 Zellen unter 50 pro Mikroliter gut funktioniert und wir daher für diese Patientinnen und Patienten den Integrasehemmer als bevorzugte Erstlinientherapie empfehlen.“

Die Originalarbeit „Integrase versus protease inhibitor therapy in advanced HIV disease (LAPTOP): a multicountry randomized, open-label, non-inferiority trial” finden Sie hier.

Text: Kirsten Pötzke