MHH-Forschende suchen im Projekt stopBKV nach Biomarkern für Diagnose und Vorhersage von schweren Nierenentzündungen und entwickeln T-Zell-Therapie für geschwächtes Immunsystem.

BK-Viren (grün) können die Niere attackieren und nach einer Transplantation das Organ zerstören. Copyright: pixabay, Karin Kaiser/MHH
Wenn die Nieren nicht mehr funktionieren, ist eine Transplantation die bevorzugte Behandlung. Sie bietet Schwerkranken im Vergleich zur Dialyse höhere Überlebenschancen und eine bessere Lebensqualität. Allerdings steht weniger als einem Drittel der Betroffenen mit Nierenerkrankungen im Endstadium ein funktionierendes Spenderorgan zur Verfügung. Das liegt auch an der begrenzten Lebensdauer der Transplantate, etwa aufgrund akuter oder chronischer Abstoßungsreaktionen. Diese lassen sich zwar mit Hilfe von Medikamenten in Schach halten, die das Immunsystem unterdrücken. Aber die Immunsuppressiva haben schädliche Nebenwirkungen etwa auf die Niere und erhöhen auch die Infektanfälligkeit. Weil die gesamte Immunabwehr geschwächt ist, können so auch Krankheitserreger aus vergangenen Infektionen, die seit langem im Körper schlummern, wieder aktiviert werden.
Dazu gehört das BK-Virus (BKV), welches die meisten Menschen in sich tragen und das zu einer Entzündung der Niere führen kann. Eine solche BKV-Nephropathie betrifft bis zu zehn Prozent der Nierentransplantate und kann das Organ so stark schädigen, dass es nicht mehr funktioniert. Derzeit gibt es keine wirksamen Biomarker, um das Risiko für eine Nierenentzündung festzustellen und diese zu überwachen. Die Behandlungen konzentrieren sich hauptsächlich darauf, die Immunsuppression anzupassen – eine Gratwanderung zwischen drohender Abstoßung des Transplantats und seiner Zerstörung durch die BKV-Infektion. Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) will nun Vorhersagemodelle für das individuelle Risiko einer BKV-Nephropathie entwickeln, Biomarker für bessere Diagnostik und Überwachung der Infektion finden und mit neuen zellulären Therapien das Virus direkt bekämpfen. Das Projekt „stopBKV“ wird im Rahmen des Förderprogramms zum Ausbau der personalisierten Medizin vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung über vier Jahre mit rund einer Million Euro unterstützt.
Biomarker im Urin messen
Das Forschungsteam nutzt dafür molekulare Techniken in Kombination mit neuesten Ansätzen der Bioinformatik und Datenwissenschaft. Grundlage ist das einzigartige Nierenregister der MHH, das klinische Daten, Nierengewebe-, Blut- und Urinproben von mehr als 1800 Patientinnen und Patienten bereitstellt, die an der MHH eine Nierentransplantation erhielten. „Weil zwar fast alle Transplantierten das BK-Virus im Körper haben, aber nur ein Teil von ihnen eine schwere Niereninfektion entwickelt, suchen wir zunächst nach Biomarkern für die verschiedenen Krankheitsverläufe“, sagt Professor Dr. Wilfried Gwinner, der das Register an der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen aufgebaut hat. Im zweiten Schritt machen sich die Forschenden auf die Suche nach Gewebe-Biomarkern, die speziell von BK-Viren verursachte Transplantatschädigung erkennen und von anderen Schädigungsursachen wie etwa einer Abstoßungsreaktion unterscheiden. „Wir konzentrieren uns dabei auf Biomarker, die wir ganz einfach im Urin messen können“, erklärt Professor Dr. Christian Hinze. Mit Hilfe von Spatial Transcriptomics, die Einzelzell-RNA-Sequenzierung mit bioinformatischer Geweberekonstruktion kombiniert, lässt sich wie in einem Puzzle feststellen, an welcher Stelle in der Niere die gemessene Schädigung auftritt. „So ersparen wir den Patientinnen und Patienten belastende Gewebeentnahmen, die eine BK-Virusinfektion in einem Teil der Fälle nicht einmal sicher entdecken können“, sagt der Oberarzt.
Zelluläre Immunität übertragen
Außerdem will das Forschungsteam herausfinden, welche Transplantatempfänger in der Lage sind, trotz ihres heruntergefahrenen Immunsystems die BK-Viren selbst zu beseitigen und welche nicht. Dabei richten Professorin Dr. Britta Eiz-Vesper vom Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering und Professorin Dr. Britta Maecker-Kolhoff aus der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie den Blick auf die BKV-spezifischen T-Zellen. Das sind Immunzellen, die das Virus gezielt erkennen und beseitigen. „Patientinnen und Patienten mit schwachen T-Zell-Reaktionen und einer beträchtlichen BKV-bedingten Nierenschädigung könnte eine sogenannte adoptive T-Zelltherapie eine neue Behandlungsmöglichkeit bieten“, stellt Oberärztin Professorin Maecker-Kolhoff fest. Bei diesem Verfahren werden lebende Immunzellen von Gesunden isoliert und dann dem Patienten mit Hilfe einer Transfusion verabreicht. T-Zellen sind vielversprechende Kandidaten, da sie die krankmachenden Antigene passgenau erkennen und ihre Zielzellen töten können. Auf diese Weise soll eine spezifische zelluläre Immunität von gesunden Menschen auf Kranke übertragen werden.
T-Zell-Therapie bereits erfolgreich angewendet
Das Verfahren haben die beiden Wissenschaftlerinnen bereits erfolgreich bei schweren Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus angewendet. Die Immunzellen stammen aus dem deutschlandweit einmaligen T-Zell-Spenderregister alloCELL der MHH. Dies besteht seit 2013 und führt inzwischen mehr als 4.500 potenzielle Spenderinnen und Spender. „Dank unserer Erfahrung sind wir in der Lage, die T-Zellen innerhalb weniger Tage herzustellen“, sagt Professorin Eiz-Vesper. Das gelingt so zügig, weil im alloCELL-Register nicht nur die für die Wirksamkeit und Verträglichkeit wichtigen HLA-Gewebemerkmale der Blutzellen gespeichert sind, sondern gleichzeitig auch die Anzahl spezifischer T-Gedächtniszellen gegen die unterschiedlichen Viren. „So können wir für eine Zelltherapie sehr schnell wirksame und verträgliche T-Zellen von Spendern verwenden, auch wenn sie mit den potenziellen Empfängern nicht verwandt sind.“
Personalisierte Diagnose und Behandlung
Das Forschungsteam will nun untersuchen, welche viralen Antigene und welche HLA-Marker ausgewählt werden müssen, um eine wissenschaftlich nachgewiesene, optimale Spenderauswahl für die personalisierte T-Zell-Therapie von Nierentransplantierten mit schwacher BK-Virusabwehr zu ermöglichen. Gesamtziel des Projektes ist es, ein genau auf die jeweiligen Patientinnen und Patienten zugeschnittenes klinisches Diagnose- und Behandlungsschema zu entwickeln. „Dieser Ansatz der personalisierten Medizin soll für die klinische Praxis geeignet sein und kann dann in einer zukünftigen klinischen Studie getestet werden“, sagt Professor Hinze.
Text: Kirsten Pötzke