Forschung

Mit Spinnenseide Aortenprothesen OP-tauglich machen

Gefäßprothesen aus dem Bluteiweiß Fibrin: Die bioverträgliche Alternative für synthetische Kunststoff-Prothesen soll mit Spinnenseide verstärkt werden.

Eine Spinne krabbelt über ein Röhrchen, worin sich eine mit Spinnenseide verstärkte Gefäßprothese aus Fibrin befindet.

Helfer für die Implantatentwicklung: Die Seide der Goldenen Radnetzspinne soll Aortenprothesen aus körpereigenem Fibrin stabiler machen. Copyright: Karin Kaiser / MHH

Die Hauptschlagader oder auch Aorta ist das größte Blutgefäß des Menschen. Sie entspringt dem Herzen und leitet das sauerstoffreiche Blut in alle Bereiche des Körpers. Die häufigste behandlungsbedürftige Erkrankung der Aorta ist eine Aussackung, das sogenannte Aneurysma. Weil an dieser Stelle der Durchmesser der Hauptschlagader erweitert ist, nehmen dort ihre Wanddicke ab und deshalb die Wandspannung gleichzeitig zu. Dadurch steigt das Risiko für einen lebensbedrohlichen Riss. Eine frühzeitige Operation mit einer künstlichen Gefäßprothese kann davor schützen. Etwa 13.000 Aortenersatz-Operationen gibt es pro Jahr allein in Deutschland. Solche Prothesen werden bislang aus synthetischen Kunststoffen hergestellt, weisen jedoch eine unzureichende Biokompatibilität auf: Es besteht das Risiko, dass sich Blutgerinnsel bilden. Auch können sich ihre Oberflächen mit bakteriellen Biofilmen infizieren, die nur sehr schwer zu therapieren sind. Forschende der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) arbeiten daran, Gefäßprothesen auf Basis von körpereigenem Fibrin zu entwickeln. Der große Nachteil: Die Fibrinprothesen halten den hohen Druckbelastungen nicht stand, wie sie im Aortenblutstrom herrschen.

Seide ist extrem dünn und reißfest

Ein neues Projekt unter der Leitung von Dr. Florian Helms in Kooperation mit der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie untersucht nun, wie sich die Bio-Prothesen stabilisieren lassen. Dabei setzten die Forschenden auf Spinnenseide aus dem Spider Silk Laboratory der PÄHW. „Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Einsatz von Spinnenseide im Bereich der regenerativen Medizin und haben viele Anwendungstechniken und Medizinprodukte entwickelt“, sagt Klinikdirektor Professor Dr. Peter Vogt. So wurde die Seide bereits erfolgreich zur Rekonstruktion peripherer Nervendefekte eingesetzt. „Wir verwenden den Haltefaden der Goldenen Radnetzspinne Trichonephila edulis aus unserer eigenen Zucht“, sagt Laborleiterin Dr. Sarah Strauß. Das Gewinnen der Seide sei für die Tiere schmerzfrei und schade ihnen nicht, betont die Biologin. Der Haltefaden ist sozusagen das „Sicherungsseil“ der Spinne und wird von ihr reflexhaft produziert. Die Seide ist extrem dünn und reißfest und im menschlichen Körper vollständig abbaubar. Mit einer speziellen Apparatur, die Assistenzarzt Dr. Helms selbst konstruiert hat, wird der Faden um die vorproduzierten Fibrinröhrchen gewickelt. „Die Stützstruktur steigert nicht nur die Stabilität, sondern verhindert auch ein Ausreißen der Prothese beim Einnähen während der Operation“, stellt der Mediziner fest.

Fibrinprothesen werden vom Immunsystem geschützt

Mit bioartifizellen Gefäßprothesen zum Ersatz geschädigter oder fehlender Gefäße beschäftigen sich die Forschenden schon seit ein paar Jahren. „Der Bedarf ist groß“, sagt Dr. Helms. So sind Herz-Kreislauferkrankungen in westlichen Industrienationen nach wie vor für die meisten Todesfälle verantwortlich. Häufig ist eine Gefäßverkalkung (Atherosklerose) die Ursache, was den Ersatz von arteriellen Gefäßen etwa im Rahmen von Bypass-Operationen erforderlich macht. Am Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) experimentiert die Arbeitsgruppe „Vascular Tissue Engineering“ an der Entwicklung von Gefäßröhrchen auf Basis von Fibrin, einem wasserunlöslichen Eiweiß aus unserem Blut. Als Teil des Gerinnungssystems hilft es dabei, Wunden zu schließen. „Fibrin eignet sich als Matrix für Gefäßprothesen besonders, weil es aus dem Blut der Prothesenempfänger gewonnen werden kann und daher optimal verträglich ist“, erklärt Projektleiter Dr. Florian Helms. Auch lässt sich das Fibringerüst problemlos in die gewünschte Form bringen und mit allen Zellen besiedeln, aus denen sich die Blutgefäße zusammensetzen.

Die biologisch aktiven Aortenprothesen werden anders als die gängigen Kunststoffmodelle vom Immunsystem als körpereigen erkannt und in die Infektionsabwehr einbezogen. Dadurch lässt sich die Bildung von Biofilmen von vornherein verhindern. „Das würde die Situation der Patientinnen und Patienten dramatisch verbessern“, führt Dr. Helms an. Denn im schlimmsten Fall müssen künstliche Prothesen aufgrund von Biofilm-Infektionen wieder entfernt werden, da diese kaum auf Antibiotika ansprechen. Oftmals bleibt dann nur der erneute Gefäßersatz – ein Eingriff, den etwa die Hälfte der Betroffenen nicht überlebt. Das Projekt „Entwicklung einer bioartifiziellen Aortenprothese auf Grundlage einer Spinnenseide-verstärkten Fibrinmatrix“ wird von der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung über zwei Jahre mit rund 127.000 Euro gefördert. Die Forschenden hoffen, bis zum Ende der Projektlaufzeit die letzte Hürde für eine klinische Anwendung ihrer Fibrin-Prothesen genommen zu haben und einen entscheidenden Durchbruch in der Versorgung mit Ersatzgefäßen zu erreichen.

Text: Kirsten Pötzke